Die „Schöne Wienerin“?

Autorin: Christine Ranseder

So ließe sich die Scherbe mit dem Gesicht einer Frau, geborgen in der Rasumofskygasse 29–31, scherzhaft benennen. Schließlich gleicht die Dame dem in der Literatur liebevoll als „Schöne Münchnerin“ angesprochenen Fund, der bei einer Grabung im Neuen Rathaus von München zu Tage kam, wie eine Schwester. Dem Wiener Fund ist es jedoch nicht gut ergangen. Er wurde in einer Planierschicht gefunden und das Gesicht sieht ein wenig mitgenommen aus. Doch zu welchem Gefäßtyp gehören die tönernen Schönen?

Unser Wiener Fragment aus dem 16. Jahrhundert, gibt diese Information nur widerwillig preis – man muss schon genau hinsehen. Es handelt sich bei dem Antlitz um den kümmerlichen Rest eines Sturzbechers mit dem Kopf einer Frau. Als solcher identifiziert, hat der Fund Seltenheitswert.

Sturzbecher bereicherten die frühneuzeitliche Trinkkultur. Im leeren Zustand diente ihre Mündung gleichzeitig als Standring, die Becher standen also Kopf. Oder sie wurden, quasi umgestürzt, auf den Tisch gelegt. Einmal mit einem Getränk gefüllt, konnten – und durften – sie nicht mehr abgesetzt werden. Und ihr Fassungsvermögen ist nicht zu unterschätzen!

Aber keine Sorge! Anders als das heutige Komatrinken genoss Saufen bis zum Umfallen in der frühen Neuzeit keinen schlechten Ruf. Ganz im Gegenteil, es gehörte quasi zum gesellschaftlichen Leben dazu. Dafür sorgten Trinkrituale, wie z. B. der Willkommenstrunk und das Zutrinken. Generell  herrschte Trinkzwang und das gut gefüllte Gefäß musste bis auf den letzten Tropfen in einem Zug ausgetrunken werden. Übrigens: wer Letzteres nicht schaffte, erhielt eine Strafe!

Besonders schöne Exemplare figürlich gestalteter Sturzbecher befinden sich in der Sammlung des Kunsthistorischen Museums, Beispiele können Sie hier und hier sehen. Der Fund aus der Rasumofskygasse belegt, dass derartige Scherzgefäße auch in bescheidenerer Ausführung hergestellt wurden. Unsere Dame wird also einst so manchem Zecher zum Rausch verholfen haben. Prost!