Autorin: Constance Litschauer
Der Standort Karlsplatz und die Tatsache, dass die jüngsten Untersuchungen der Stadtarchäologie im Vorfeld zu den Erneuerungsmaßnahmen des Wien Museums stattfinden, lassen es schon vermuten: diesmal läuft alles etwas anders ab als sonst. Allzu oft bietet sich im Normalfall nämlich nicht die Gelegenheit, auch die jüngere Vorverbauung in dem Ausmaß zu dokumentieren, wie es uns diesmal möglich ist. Bestes Beispiel dafür: die bereits in den Medien vorgestellten alten Verkaufshallen (1922–1934).
Bevor wir daher den – archäologisch gesehen – zeitlichen Deckel zum 18. Jahrhundert auf der Grabungsfläche abtragen, wollen auch wir uns auf unserer Homepage dem Fundplatz widmen. Es ist an der Zeit ein erstes kurzes Resümee zu ziehen.
Die Voraussetzungen konnten idealer nicht sein: bedeutet archäologisches Wühlen im Erdreich der zukünftigen Plaza vor dem Wien Museum schließlich die örtliche Vorgeschichte jenes selbst denkmalgeschützten Haerdtlbaus dokumentieren zu können, in dem auch die Geschichte Wiens verwahrt wird. Das ermöglicht wiederum eine interdisziplinäre Herangehensweise, wobei uns aktuell ein Forschungsteam der Universität Wien und der Universität für angewandte Kunst unterstützt. Neben neuen historischen Erkenntnissen erhofft man sich durch die Entnahme von Proben nichts Geringeres als neue Einsichten zum Anthropozän beziehungsweise zur Erdgeschichte.
„Dass das Wien Museum Partner eines hochaktuellen Forschungsprojekts über die menschlichen Einflüsse auf unseren Naturraum wird, finde ich großartig“. (Matti Bunzl, Wien Museum)
Aus diesen Beweggründen geht es vor dem Wien Museum seit Oktober bereits ab dem Oberbodenabtrag, unter der Betreuung von Martin Mosser, hinab in die Vergangenheit des Karlsplatzes. Und bereits rund 0,5 m unterhalb des derzeitigen Gehniveaus wurden erste Fundamente aufgedeckt. Es handelte sich um jene Einbauten aus Magerbeton, welche die Reste der bereits durch vorangegangene Recherchearbeiten zu erwartenden alten Verkaufshallen aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts darstellten.
Inzwischen – genauer gesagt seit den Medienberichten – zeigte sich, dass nicht nur die Fundamentreste der westlichen Außenmauer des Zweckbaus erhalten blieben. Es konnten auch Strukturen wie Zugangsbereiche und eine Türschwelle aufgedeckt werden. Darüber hinaus lassen sich die in Archivalien belegbaren unterschiedlichen Nutzungsphasen dank der Abfolge der aufgedeckten Bodenschichten zumindest teilweise rekonstruieren.
Hinsichtlich des sich ändernden Zwecks waren einige innerhalb des Gebäudes freigelegte Bitumen- und Teerlagen besonders aufschlussreich. Sie wurden offenbar sekundär in zumindest einer Koje bzw. einem Geschäftslokal eingebracht. Damit bieten sie einen schönen Beleg für sich ändernde Anforderungen: der Zweckbau wurde zuletzt vermehrt für Werkstätten- und Verkaufszwecke der damals gerade aufblühenden Automobilindustrie genutzt. Und das an einem seinerzeit noch jungen Verkehrsknotenpunkt!
Nach dem Abschluss der Dokumentation der alten Verkaufshallen und dem Abtragen dicker Planierschichten wurde inzwischen das aus der Zeit vor dem Hallenbau und bereits in einem Suchschnitt gesichtete nächste archäologische Ziel erreicht: eine Kopfsteinpflasterung.
Sie geht auf eine noch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert am Karlsplatz anzutreffende Straßenanlage zurück. Selbst den Rest einer Nebenstraße bildend, traf sie im rechten Winkel auf einen breiten Ost-West verlaufenden Straßenzug. Dieser auf der Grabungsfläche nur noch anhand von Pflastersteinabdrücken erkennbare Einbau begleitete als Fortsetzung der Rechten Wienzeile in Form eines breiten Boulevards den um 1870 im Zuge einer ersten Regulierungsmaßnahme verlegten Wienfluss. Die angetroffenen Strukturen entsprechen außerdem dem im Stadtplan aus dem Jahr 1887 (siehe Wien Kulturgut) dargestellten Verlauf, der sich bereits an der Neuparzellierung der ab 1850 in die Stadt Wien eingemeindeten Vorstädte orientierte.
Ein Highlight stellte eine auf dem gleichen Horizont angetroffene Stellung aus rechteckigen Gruben dar. Sie gehen offenbar auf Otto Wagner zurück! Aufgrund der Ausmaße und der Orientierung ist davon auszugehen, dass sie letzte Bodenrelikte des probeweise aufgestellten lebensgroßen Modells der Fassade des von ihm am Karlsplatz angedachten Stadtmuseums darstellen. Damit können die aufgedeckten Strukturen ins Jahr 1910 datiert werden.
Zur weiteren Überraschung des Grabungsteams der Stadtarchäologie konnten unterhalb des Horizonts der Jahrhundertwende weitere Überreste von Straßenzügen aufgedeckt werden. Sie sind ebenfalls in Form von Pflastersteinen und deren Abdrücken erhalten geblieben. Allerdings geben sie bereits die im Franziszeischen Kataster (siehe Wien Kulturgut https://www.wien.gv.at/kulturportal/public/) dargestellte Situation im Bereich der Grabungsfläche wider. Ihre Anlage ist daher vor den 1830er Jahren anzusetzen. Die Nutzung wird sich hingegen bis zur Neuparzellierungen im mittleren 19. Jahrhundert erstreckt haben.
Zur großen Freude aller auf der Grabung Anwesenden kamen zuletzt Schichten mit Abfällen einer Werkstätte zu Tage. Da in den meterhohen Asche- und Holzkohlelagen auch viele Schlacken und einige Gusstiegelfragmente geborgen wurden, kann angenommen werden, dass ein metallverarbeitender Betrieb für die Hinterlassenschaften verantwortlich war. Vielleicht sogar die Frühwirth’sche Gewehrfabrik, die zwischen 1789 und 1962 in der benachbarten Technikerstraße 9 (Winterthurgebäude) bestand.
Man darf also durchaus gespannt bleiben, was der Untergrund des Karlsplatzes mit seiner abwechslungsreichen Geschichte noch verbirgt. Seien es Neuigkeiten aus der noch weiter zurückliegenden Vergangenheit, wie dem Wienfluss selbst oder aber weitere Facetten zu den bereits dokumentierten archäologischen Einbauten vom Karlsplatz!