Autorin: Christine Ranseder
Nicht nur im innerstädtischen Bereich werden Spuren der „Proto-Wiener“ angetroffen. Auch am Stadtrand des heutigen Wiens gibt es einige archäologische Hotspots. Einer davon ist Oberlaa, im Südosten des heutigen 10. Wiener Gemeindebezirks.
Lange bevor im Mittelalter das Dorf Oberlaa entstand, ließen sich hier Menschen nieder. In den letzten Jahrzehnten konnten prähistorische Siedlungsreste aus dem Endneolithikum, der Hallstatt- und der Latènezeit archäologisch untersucht werden. Derzeit befindet sich neuerlich eine Ausgrabung im Planungsstadium, die es uns hoffentlich ermöglicht, weitere Belege der ausgedehnten endneolitischen Siedlung zu dokumentieren.
Doch was machte dieses Gebiet für die Menschen in der Urgeschichte so reizvoll?
Der Naturraum
Um diese Frage zu klären, hilft zunächst ein Blick auf die naturräumlichen Gegebenheiten des Liesingtales am südöstlichen Ausläufer des Laaer Berges. Der südliche Abhang dieses bis zu 256 m hohen Höhenzuges fällt sanft zur Liesing hin ab. Jenseits des Baches, im Süden, befindet sich der 201 m hohe Johannesberg. Am Talboden verläuft die im Wienerwald entspringende Liesing, die bei Schwechat in den Schwechatfluss mündet. Sie wies ursprünglich zahlreiche Mäander auf und verursachte bei starken Regenfällen Überschwemmungen. Alle archäologisch untersuchten prähistorischen Siedlungen befanden sich in der Nähe der Liesing. Da bis jetzt keine Brunnen nachgewiesen werden konnten, wird davon ausgegangen, dass sie das lebensnotwendige Trink- und Nutzwasser lieferte.
Die ersten Siedler werden keine Bodenanalyse im heutigen Sinn betrieben haben, sie konnten aber sehr wohl abschätzen, ob sich ein Siedlungsplatz für ihre Wirtschaftsform eignete. Das Liesingtal bot ihnen von allem etwas. Der Talboden entsprach dem Typus der Aulandschaft, die Schotter aufweisenden Teile des Laaer Berges waren einst von Trockenrasen bedeckt, an seinen unteren Hängen und in seinem Umfeld sind fruchtbare Schwarzerden zu finden.
Auch das Klima beeinflusste die Wahl des Siedlungsplatzes. In Perioden mit günstigen klimatischen Bedingungen – Neolithikum, Bronzezeit und Spätlatène – siedelten die Menschen näher bei der Liesing. War es regenreich und kalt, wie in der Hallstattzeit, wurden mittlere Hanglagen bevorzugt.
Sehen wir uns den Lebensraum der Bewohner einer der bekannten Siedlungen genauer an.
Überleben dank einer Vielfalt an Möglichkeiten
Um herauszufinden wie prähistorische Selbstversorger das Umland ihrer Siedlung („site exploitation territory“) nutzten, bedienen sich Archäologen der sog. Umfeldanalyse. Dabei gibt es natürlich verschiedene Methoden/Herangehensweisen und ganz so einfach, wie hier geschildert, ist sie auch nicht. Wichtige Faktoren, die bedacht werden müssen, sind Zeit, Entfernung und aufgewendete Energie. Zunächst werden in einem idealen Modell Kreise um die Siedlung gezogen. Dabei wird in der Regel davon ausgegangen, dass ein Kreis von einem Radius von 1 km das landwirtschaftlich wichtigste Gebiet einschließt und ein Kreis mit einem Radius von 5 km die Grenze markiert, ab der eine Bewirtschaftung/Ausbeutung der vorhandenen Ressourcen nicht mehr profitabel ist. In der Realität sind die Konturen eines „exploitation territory“ allerdings zumeist unregelmäßig, da das Terrain dem Idealmodell einen Strich durch die Rechnung macht. Schließlich kommt man in 10 Minuten in der Ebene mit weniger Energieaufwand weiter als es im Gebirge steil bergauf möglich ist.
Die vor der Errichtung der Senioren Residenz Am Kurpark Oberlaa, Fontanastraße 10, ausgegrabene Siedlung der Hallstattkultur (800/750 bis 500/400 v. Chr.) entspricht in der Standortwahl den für diese Zeit in unserem Raum typischen Kriterien. Dazu zählte, neben der Gewässernähe sowie der Bevorzugung von Braunerdeböden und Tschernosemen, die südliche Lage an einem Hang mit bis zu 4° Gefälle – vermutlich um Staunässe zu vermeiden und das Sonnenlicht optimal zu nutzen. Zieht man auf einem Plan oben erwähnte Kreise um die Siedlung, zeigt sich, dass in ihrem Wirtschaftsraum jeder Landschaftstyp des Liesingtals vertreten war. Die Liesing diente nicht nur der Wasserversorgung, sondern auch als Nahrungslieferant – Flussmuscheln sind im Fundmaterial nachgewiesen, Fischfang kann angenommen werden. Auch gab es an ihren Ufern wahrscheinlich Schilfrohr zum Dachdecken. Tierknochen belegen, dass von den Bewohnern des Dorfes Schafe/Ziegen, Rinder und Schweine gehalten wurden, Pferde setzte man als Arbeitstiere ein. Als Weideflächen könnten die karg bewachsenen Hänge des Laaer Berges gedient haben. Die Schafe lieferten nicht nur Fleisch und Milch, sondern auch Wolle, die in der Siedlung zu Textilien verarbeitet wurde. Ackerbau ließ sich in der fruchtbaren Ebene des Wiener Beckens betreiben. Kam es zu einem Engpass bei der Versorgung – oder hatten die Bewohnern Lust auf Wildbret – ergänzten sie das Nahrungsangebot gelegentlich durch die Jagd, wie Knochen von Feldhase und Birkhuhn belegen.
Das Liesingtal war also in der Urgeschichte ein recht guter Ort zum Leben.