Autorinnen: Heike Krause und Ingeborg Gaisbauer
Auf dem Wiener Stadtgebiet gab es im Mittelalter Dörfer, die heute nicht mehr existieren. Wulzendorf ist eines davon. Wir kennen den Namen aus Schriftquellen des 13. Jahrhunderts. Aus einem Verzeichnis aus der Zeit Ottokars von Böhmen (1251–1276) ergibt sich, dass das Dorf in der Nähe von Breitenlee und Aspern im 22. Wiener Gemeindebezirk gelegen sein dürfte. Was ist mit dem Ort geschehen, und wo lag er wirklich?
1455 wurde Wulzendorf erstmals als öd bezeichnet, d. h. es war damals nicht bewohnt. Jedoch dürften sich danach wieder Menschen niedergelassen haben. Eine Überflutung im Jahr 1526 führte erneut zu einer Unterbrechung der Besiedlung. Das Dorf lag also in einem Gebiet, das von Donauhochwässern überschwemmt werden konnte. 1538 kamen Einkünfte aus Wulzendorf vom Stift Heiligenkreuz auf dem Tauschweg an das Wiener Schottenstift, d. h. das Dorf wurde weiterhin bewirtschaftet. Nach einem Hochwasser im Jahr 1568 gab man es wohl endgültig auf. Die Wirtschaftsflächen des einstigen Dorfes wurden in der Folge von den Untertanen aus den nahe gelegenen Ortschaften Hirschstetten, Stadlau und Aspern genutzt.
Der Stadtarchäologie Wien wurden vor ein paar Jahren Keramikscherben übergeben, die ein an der Siedlungsgeschichte des 22. Bezirkes interessierter Bürger über Jahre auf einem Acker südlich von Breitenlee aufgelesen hatte. Er war sich sicher, dadurch den Standort von Wulzendorf gefunden zu haben. Doch wie lässt sich das beweisen?
Der Blick auf historische Karten und alte Luftbilder half beim Lösen des Rätsels um den Standort des Ortes und lieferte Gewissheit. Eine im Archiv des Schottenstifts aufbewahrte, von Johann Jakob Marinoni angefertigte Karte aus dem Jahr 1727 gibt den entscheidenden Hinweis. Sie erfasste den Grundbesitz des Schottenstiftes in Breitenlee, zu dem auch die „öede dorfschafft Wulzendorf dero haus und überländ grundstuckh wie auch Wisen und Viechwaiden“ gehörte. Bezeichnungen wie Wulzendorfer Heide, Wulzendorfer Feld und Wulzendorfer Lacke deuten auf die Lage des einstigen Ortes hin. Ein 1938 aufgenommenes Luftbild zeigt südlich von Breitenlee verdächtige Spuren und zwar genau an der Stelle, wo sich das einstige Wulzendorf laut Karte befand. (Haken Sie unter Luftaufnahmen das Luftbild 1938 an und geben Sie die Adresse Lackenjöchelgasse 52 ein) Beiderseits einer breiten straßenartigen Struktur kann man abgegrenzte rechteckige Haus- bzw. Hofparzellen ausmachen. Mit bloßem Auge sind die im Luftbild erkennbaren Auffälligkeiten heute aber nicht mehr zu erkennen.
Die aufgelesenen Keramikscherben, die zur Bearbeitung an die Stadtarchäologie gingen, sind durch das vielfache Manipulieren und Umlagern durch die Beackerung in einem bedauernswerten Zustand. Abgearbeitet und stark verrundete Keramik ist schwierig zu beurteilen, dennoch zeigte sich hier zumindest ein klarer zeitlicher Trend. Sowohl die Zusammensetzung des Tones als auch die Formen der Gefäßfragmente wiesen stark ans Ende des 15. Jahrhundert, chronologische Ausreißer gab es kaum und wenn, dann handelte es sich um ältere Stücke. Dadurch bestätigt das keramische Fundmaterial den Zeitraum der Auflassung von Wulzendorf.
Auch das nahe Breitenlee war übrigens über ein Jahrhundert lang unbewohnt. Das Dorf wurde im Zuge der Belagerung durch die Osmanen 1529 zerstört. Ungefähr 750 Meter südlich des einstigen Standortes wurde es auf grüner Wiese als Gut des Schottenstiftes um 1695 neu gegründet. Der Wirtschaftshof und die Kirche stammen aus dieser Zeit.