Autorin: Sigrid Czeika*
Immer wieder schiele ich mit ein wenig Neid auf meine KollegInnen von der Archäologie. Sie nehmen ein Fundstück her und können oft eine ganze Geschichte darüber und damit über die Kreativität des Menschen erzählen. Das kann ich mit Tierknochen nicht. Knochen sind Knochen – vorgegebene Strukturen, die immer gleich sind. Außer der Evolution steht keine Geschichte dahinter. Es gibt keine wundersamen Stücke, deren Geheimnis nicht in irgendeiner Vergleichssammlung für Tierknochen gelüftet werden kann.
Und doch wirken auch in der Natur kreative Kräfte. Sie sind unmittelbar und spontan, denn Knochen können ihre Form verändern.
Diese Kräfte geben zu erkennen, dass Knochen Teile von lebendigen Wesen waren, welche auf sich wandelnde Anforderungen reagierten. Häufig sind es Anzeichen eines Versuches, sich an schwierige Lebensbedingungen anzupassen oder Krankheiten in den Griff zu bekommen. Wenn er gelang, dann konnte dies von fast unmerklichen bis hin zu erheblichen Umgestaltungen führen.
Die Resultate dieser formenden Kraft werden oft als pathologische – also krankhafte – Veränderungen bezeichnet. Aber sind Zeichen von Lebendigkeit grundsätzlich als Anzeichen von Krankheit anzusehen? Es ist das Streben danach, wieder ein Gleichgewicht im lebendigen System zu erreichen. Vielleicht sind Pathologien deshalb interessant, weil sie zum Leben und Lebenswillen gehören.
Zu den gelungenen Veränderungen gehören verheilte Knochenbrüche aber auch weniger Spektakuläres wie knöchern verstärkte Gelenksbereiche oder Muskelansatzstellen, die bei hoher Dauerbelastung sonst Schaden genommen hätten. Wenn Verletzungen große Umgestaltungen auslösten, dann konnte das erhebliche Probleme in der Fortbewegung zur Folge haben.
Eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit lässt ein im Hüftgelenk gebrochener und wieder verheilter rechter Beckenknochen einer mittelalterlichen/frühneuzeitlichen Katze erkennen. Trotz einem teilweise fehlenden Schambein mussten die Hinterbeine des Tieres normal funktionsfähig gewesen sein, wie an den beiden beinahe völlig unauffälligen Oberschenkelknochen zu erkennen ist.
Bei einem Maultier aus der Römerzeit hatten sich verbindende Strukturen einiger Wirbel knöchern verstärkt. Die Knochenbrücken dienten offenbar dazu, dass stark belastete Bereiche der Wirbelsäule unter Einhaltung der Abstände für die Bandscheiben versteift wurden. Nachdem die Schwere von Veränderungen in der Wirbelsäule nicht unbedingt mit einer Ausprägung klinisch sichtbarer Symptome zusammenhängt, könnte das Tier von eher unauffällig bis stark lahmend unterwegs gewesen sein.
*Museen der Stadt Wien – Stadtarchäologie, 1020 Wien, Österreich und Institut für Paläontologie, Universität Wien, 1090 Wien, Österreich.