Autorin: Sabine Jäger-Wersonig
Wien bekommt eine weitere Fernkältezentrale und die Archäologie eine Gelegenheit den nordwestlichen Teil der Innenstadt unter die Lupe zu nehmen. Im Jänner 2020 starteten die Bauarbeiten, die bereits Abschnitte der Biberbastei erfassten und auch römische Schichten streifen werden.
Eine energieeffiziente Kühlung – der Projektumfang
Auch die Wiener Innenstadt erlebt seit einigen Jahren einen stetigen Anstieg der Temperatur. Zumindest in einigen Häusern wird Wien Energie mit dem Projekt Fernkältezentrale Stubenring für eine umweltfreundliche und energieeffiziente Kühlung sorgen. Die dafür nötigen Bauarbeiten haben im Jänner dieses Jahres begonnen. Die Fernkältezentrale Stubenring soll ab April 2021 ihre Arbeit aufnehmen. Mehrere Leitungen werden die Zentrale, die in einem Kellergeschoss der „Alten Post“ gebaut wird, mit dem Wasserentnahmebauwerk am Donaukanal verbinden. Die Trasse dieser Leitungen führt vom Donaukanal unter dem Franz-Josefs-Kai hindurch weit in die Dominikanerbastei hinein, streift dabei den Auwinkel, die Wiesinger- und Rosenbursenstraße.
Woher „wissen“ wir, was sein wird?
Wie in letzter Zeit berichtet, sind für die Archäologie nicht nur Flächengrabungen interessant, sondern auch die ausdehnungsmäßig eher gering gehaltenen Künetten.
Die Druckwasserleitung der Fernkälte wird in bis zu 4 m breiten und bis zu 7 m tiefen Gräben, auch Künetten genannt, verlegt werden. Dabei wird sie einen historisch sehr interessanten Teil Wiens durchfahren. Die Überlagerung des heutigen Stadtplans mit historischen, nicht georeferenzierten Plänen und den im letzten Jahrhundert beobachteten Bodenaufschlüssen lässt erahnen, was die Künetten zutage fördern könnten. Für Überraschungen wird aber trotzdem gesorgt sein, wie die archäologische Praxis immer wieder zeigt.
Begeben wir uns vor Ort. Stellen Sie sich vor, sie stünden am Franz-Josefs-Kai und blickten auf den heutigen Donaukanal. In historischer Zeit wäre ihr Auge über das weit verzweigte Netz der Donauarme geschweift und der Wienfluss läge zu Ihrer rechten Hand. In Ihrem Rücken befindet sich dagegen ein durch die Jahrhunderte beständig besiedelter Teil Wiens. Wenn Sie sich umdrehen und in Richtung des heute Dominikanerbastei genannten Straßenzugs gehen würden, überquerten Sie zunächst die heute versteckt im Untergrund liegenden Reste der Biberbastion. Diese war ein Teil der im 16. Jahrhundert errichteten mächtigen Wiener Festungsanlage. Von 1854 bis 1857 wurde auf der Biberbastei die Franz-Josef-Kaserne erbaut und der Straßenzug der Dominikanerbastei angelegt. Die Kaserne wurde um 1900 abgebrochen.
Im Verlauf der heute Dominikanerbastei genannten Straße überschreiten Sie nicht nur einen Teil der Festungsanlagen, sondern – geht man in der Zeit weiter zurück – wahrscheinlich auch einen Teil der mittelalterlichen Stadtmauer und/oder dessen vorgelagerten Graben. Sie bewegen sich also in einem so genannten Fundhoffnungsgebiet. Da die Künetten für die Fernkälteleitungen 2,5 bis 4 m Tiefe erreichen werden, sind Beobachtungen dieser älteren Verteidigungsanlage gut möglich.
Erkenntnisse aus den Grabungen in der Alten Post
Aber es geht sogar noch weiter zurück in der Geschichte Wiens. Im Haus der „Alten Post“ (Postgasse 8–12) fand im Jahr 2017 eine mehrmonatige Grabung durch die Firma archnet statt. Hier wurden Mauer- und Fußbodenreste und die Verfüllungen vieler Gruben, von der Neuzeit bis in die römische Zeit, geborgen. Die aufgedeckten römischen Befunde, darunter auch mehrere Bruchsteinmauern gehörten wahrscheinlich zu den canabae legionis des Legionslagers. Sehr wahrscheinlich werden in diesem Bereich die Künetten der Fernkälte auch diese Zeitstufe erfassen, da sie stellenweise eine Tiefe bis zu 7 m Tiefe erreichen werden.
Arbeiten im Team
Die Stadtarchäologie Wien wird in diesem Projekt durch die Firma Novetus unterstützt, die die Grabung vor Ort durchführen wird. Die folgenden Monate werden zeigen, welche Überraschung uns der Wiener Untergrund bereiten wird.