Autorin: Christine Ranseder
Der Kontakt mit der Natur verbessert bekanntlich den Gemütszustand, selbst wenn wir nur auf Bilder blicken. Fotos von Katzen-, Hunden oder putzigen Nagetieren habe ich mangels Haustier nicht bei der Hand, aber einen keramischen Blumenstrauß kann ich Ihnen per Blogbeitrag reichen.
Unter den Kachelfragmenten, die im Zuge von Bauarbeiten im Haus Judenplatz 8 geborgen wurden, befanden sich auch Exemplare mit Darstellungen von reich bestückten Blumenvasen.
Es dürfte sich um Kacheln mehrerer Öfen handeln, wie viele wird die wissenschaftliche Auswertung zeigen. Sicher ist, dass die Wärmespender in ihrer unzerstörten Pracht eine Augenweide waren. Doch wann brachte man auf diese Art den Garten in ein städtisches Wohnhaus? Die Funde datieren in das 17. Jahrhundert, einer Zeit in der die Blumen Kunst und Kunsthandwerk eroberten.
Sehen wir uns eine der Kacheln genauer an. In einer Vase mit hohem Fuß und gebuckeltem Körper steht ein Bouquet aus stilisierten Blumen, die auf den ersten Blick als reine Schöpfungen der Fantasie erscheinen. Auf den zweiten Blick würde ich rechts und links der mittleren Blume anhand ihrer gezackten Blütenblätter Nelken in Seitenansicht identifizieren, aber ich bin keine Botanikerin. Nelken wurden ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als Gartenblume kultiviert, im 17. Jahrhundert gab es bereits zahlreiche Sorten. Auffallend ist das Fehlen von Tulpen, der bis zum großen Crash des Tulpenhandels im Jahr 1636 wohl begehrtesten Gartenblume.
Die prächtige Blumenvase wird von einer Bordüre mit Rankendekor gerahmt. An diese schließt der Ansatz eines gestuften Leistenrahmens mit Waffeldekor an, der vor allem an Kacheln aus Süddeutschland und der Nordschweiz ein beliebtes Gestaltungselement darstellt. Doch so weit muss der Blick bei der Suche nach Vergleichsbeispielen nicht in die Ferne schweifen. Eine idente, vollständig erhaltene Kachel wurde während der Ausgrabung am Michelberg, Niederösterreich, gefunden.
Ein Motiv macht sich selbstständig
Lange bevor sich das Blumenstillleben als eigenes Genre etablierte, wurden Blumen als Träger symbolischer Bedeutungen auf Tafelbildern religiösen Inhalts dargestellt. So sind auf Bildern, die Maria mit Kind zeigen, oft Blumenvasen mit weißen Lilien als Symbol für Marias Reinheit, blauen Schwertlinien als Hinweis auf Marias Schmerz bei der Passion Jesu und Akeleien, welche für die Sieben Gaben des Heiligen Geistes stehen, zu sehen. Ein frühes Beispiel für die Isolierung des Motivs, das sich dennoch auf die Madonna bezog, ist ein mit Blumen gefüllter Krug von Hans Memling (um 1440–1494).
Mit dem wachsenden Interesse an der Pflanzenwelt und dem Entstehen der ersten Florilegien am Ende des 16. Jahrhunderts verselbstständigten sich auch die Blumenvasen. Schnittblumen hielten ihren Einzug in Innenräume.
Im 17. Jahrhundert wurden gemalte Blumenbouquets zu begehrten Sammlerstücken. Auch diese beinhalteten gelegentlich noch religiös konnotierte Elemente und erinnerten an die Vergänglichkeit aller Dinge. Meist stand jedoch die Freude an der juwelengleichen Blütenpracht, in der neue Blumenzüchtungen eine besondere Stellung einnahmen, im Vordergrund. Die Lust an Gärten und seltenen Pflanzen trieb jedoch auch noch andere Blüten. Ab den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts wurde der Gartenblumenstrauß in einer Vase in der Grafik zum selbstständigen Bildthema. Besonders schöne Exemplare sind in „De florum cultura“ (1633) von Giovanni Battista Ferrari und der Kupferstichfolge „Vases de Fleurs“ (um 1670) von Jaques Vauquer zu finden. Die Stiche zirkulierten in ganz Europa und dienten als Vorlagen oder Inspirationsquelle für Marketerie, Goldschmiedearbeiten – und vielleicht auch Kachelöfen.