Autorin: Constance Litschauer
Was liegt näher als zum Ende der Fastenzeit einmal mehr einen Blick auf unsere Arbeiten in der Rotenturmstraße zu werfen? In Anbetracht der Tatsache, dass hier nicht nur ein moderner lukullischer Hotspot Wiens entdeckt werden kann, sondern auch ein Blick auf die historische Gebäude- und Beislszene durchaus reizvoll ist, wohl nicht viel!
Nachdem seit dem Hochmittelalter entlang der heutigen Rotenturmstraße verschiedene Straßenabschnitte und Plätze entstanden, etablierten sich bis zur Entstehung des ersten auf detaillierten Vermessungen beruhenden Plan Wiens, dem sog. Steinhausen-Plan aus dem Jahr 1710 auch verschiedene gastronomische Betriebe. Dass die Häuserfluchten im Vergleich zu heute viel enger und noch leicht versetzt waren, kann dabei als Glücksfall für uns bezeichnet werden! So erzählen die aufgedeckten Mauerreste im Zusammenspiel mit den verschiedenen Quellen von den in den Gebäuden untergebrachten und bei Arm und Reich beliebten Gasthäusern bzw. Wirths-, Schenck- oder Leuthäusern. Die von den Gastgeb oder Leutgeb betriebenen über- oder unterirdischen Einrichtungen werden als karg möbliert beschrieben. Sie verfügten mit Holztischen, -bänken, -sesseln und der Theke für die Bestellung, den Straßenverkauf und die Bezahlung nur über das nötigste Interieur. Auch galten die oft nur über verwinkelte Wege erreichbaren Schankräume als schlecht gelüftet. Als Schildwirtshäuser führten sie nicht selten den Namen der Häuser, die ihre Bezeichnungen wiederum oft den an ihnen angebrachten Schildern verdankten. Diese boten bis zur Einführung der Konskriptionsnummern unter Maria Theresia im Jahr 1771 eine Möglichkeit zur Kennzeichnung von Häusern, wobei sie auch wichtige Orientierungspunkte waren.
Als ersten Gang wenden wir uns einem Bürohaus zu, dem das zwischen 1861–1945 von der Familie Hess betriebene und seinerzeit äußerst beliebte Hotel „Österreichischer Hof“ nach einer Brandkatastrophe Platz machte. Das angetroffene Mischmauerwerk lässt allerdings weiter in die Vergangenheit blicken und kann dem Gebäude mit der Konskriptionsnummer 729 zugeordnet werden. Aufgrund der Bauweise mit eher grob behauenen Bruchsteinen und Ziegeln in Mörtelbettung ist eine neuzeitliche Zeitstellung naheliegend. Es kann angenommen werden, dass wir auf ein Nachfolgegebäude des erstmals in einer Urkunde von 1337 als „Jacobs Haus bei dem Brunnen an der Ecke“ und später nach dem Hausschild „Zum Goldenen Wolf“ bezeichneten Hauses gestoßen sind. Möglicherweise handelt es sich um jene Reste, die auf die Wiederherstellung des während der zweiten Türkenbelagerung am 28. Juli 1683 fast vollständig durch eine türkische Bombe zerstörten Gebäudes zurückgehen.
Auf der Suche nach einem Schanklokal ist man fürs Erste jedoch fehl am Platz, da hier vielmehr Handwerksbetriebe wie die renaissancezeitliche Buchdruckerei des Rafael Hofhalter (ursprünglich Skrzetinski) untergebracht waren. Glaubt man allerdings einigen Überlieferungen, befand sich im Keller des mit unserem Haus zusammengelegten und erstmals 1331 erwähnten Gebäudes „Lange Haus“ nämlich der gerne von Bettlern besuchte und berüchtigte Mirakelkeller. In Wunderburgen wie dieser fanden sich die Bettler nach getaner Arbeit zusammen um ihren Erlös auch gleich wieder umzusetzen. Und nicht selten sollen Blinde wieder sehend, Lahme wieder Laufend und Greise wieder verjüngt von Dannen gezogen sein…
Lediglich durch den Fleischmarkt getrennt lag das bereits um 1500 gerne von Ungarn besuchte Gasthaus „Zum Goldenen Hirschen“. Seinen Namen verdankte es einem im späten 15. Jahrhundert angebrachten Schild in Form eines Hirschkopfes. Mit dem Erwerb durch den Bürger und Ratsherrn Matthäus Heuperger im frühen 16. Jh. erfuhr das auch als Hirschenhaus geläufige Gebäude mit der Konskriptionsnummer 728 schließlich sogar eine literarische Hinterlassenschaft. So soll doch tatsächlich das spukhafte Bankett von Goethes Faust als illustrem Gast des ebenfalls damals hier wohnhaften Hofsteinmetzmeister Paul Khölbls hier stattgefunden haben! Vielleicht war ja der aufgedeckte Bogen aus Mauer- und Gewölbeziegeln sowie vereinzelten Quadersteinen – der vermutlich ein Kellergewölbe darstellt – Zeuge dieses Spektakels. Die im 17. Jahrhundert untergebrachte Fechtschule der Wiener Handwerker und Tanzveranstaltungen im Tanzsaal des 18. Jahrhundert sollten ihm auf jeden Fall nicht entgangen sein! Aber Spaß beiseite: möglicherweise diente das Kellergewölbe als Stallung für die Tiere der Reisenden, wie dies für einen Teil der Keller der oft großen und über langgestreckte Hinterhöfe verfügenden Gasthäuser angenommen wird.
Eine Straßenquerung weiter wartet mit unterschiedlich datierenden Mauerresten bereits die nächste Einkehrmöglichkeit im sog. Leittnerhaus mit der Konskriptionsnummer 646. Der Name geht auf den Besitzer Stephan Leit(t)ner zurück, der im ausgehenden 14. Jahrhundert ein angesehener Bürger der Stadt war. Da überliefert ist, dass er und seine Familie im Besitz von Weingärten waren, kann angenommen werden, dass seinerzeit in dieser Schankwirtschaft Wein ausgeschenkt wurde und nicht Bier. Mit dem ab dem Jahr 1512 ebenfalls überlieferten Schildnamen „Zur gulden (goldenen) Gans“ mehren sich die gastronomischen Belege. So ist der Gast- oder Leutgeb Johann Widtemann genauso überliefert wie eine besonders im 16. Jahrhundert beliebte Schankwirtschaft, die vorzügliches Bier zu billigen Preisen anbot – sehr zum Missfallen der Konkurrenz übrigens, die den Wirten verklagte! Im 17. Jahrhundert soll schließlich auch der Bürgermeister von Wien, Johann Franz (von) Peickhardt (ca. 1647–1706) Einkünfte aus einer hier eingerichteten Gastwirtschaft bezogen haben. Die jetzt aufgedeckten Mauerreste aus Mischmauerwerk erzählen aufgrund ihrer unterschiedlichen Strukturen mit einem mehr oder weniger großen Anteil an Ziegelsteinen eine ähnlich abwechslungsreiche Geschichte und sind Zeugnis von diversen Umbauarbeiten. Man erkennt beispielsweise deutlich Fugen, die auf sich veränderte Raumfunktionen und vermauerte Öffnungen schließen lassen.
Schließlich lohnt sich ein Abstecher zum sagenumwobenen Bärenhaus mit der Konskriptionsnummer 735. Hier fehlt zwar ein Gasthaus, aber erstens besticht das entdeckte Mauerwerk mit seinen klar erkennbaren unterschiedlichen Bauphasen und zweitens beherbergten die Gemäuer bis 1876 mit der heute am Graben beheimateten und immer noch in Betrieb befindlichen Bärenapotheke bzw. heutigen Grabenapotheke auch eine der ältesten Apotheken Wiens. Während zwei steinerne Bären mit aneinanderstoßenden Köpfen an der Ecke Rotenturmstraße/Lugeck namensgebend für das Haus und die Apotheke waren, reichen die überlieferten Besitzverhältnisse bis ins Jahr 1367. Damals kaufte Jacob Lang, der Sohn des damaligen Bürgermeisters das Objekt von Johann von Tirna. Nach einigen Besitzerwechseln erfolgten 1567 umfangreiche Umbauarbeiten am Gebäude, ehe es 1664 in den Besitz des Apothekers Johann Paul Sauerer (um 1626 – 1679) gelangte. Er verlegte seine seit 1660 am Stephansplatz befindliche Apotheke alsbald hierher. Nachdem die gesamte Immobilie in den 1870er Jahren in den Besitz des Wiener Stadterweiterungsfonds und des Wiener Bauvereins gelangte, erfolgte die Schleifung des Gebäudes und damit einhergehend 1876 der Umzug der ehemaligen Bärenapotheke zum Graben.
Wie aber lassen sich die angetroffenen Mauern hier zuordnen? Während die Bruchsteinmauer mit Sicherheit auf den mittelalterlichen Baubestand zurückgeht, kennzeichnet das lagige Mischmauerwerk mit einem hohen Anteil an Ziegeln möglicherweise die Umbauphase des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Es kann sich aber auch um eine jüngere bauliche Veränderung handeln, die sich uns – wie so oft – nur durch weitere Aufgrabungen erschließen könnten.