Autorin: Ingeborg Gaisbauer
Verfügt man nicht gerade über eine Wasserleitung, wie das römische Legionslager, oder hat direkten Quellzugang, ist das Graben eines Brunnens oder einer Zisterne die übliche und höchst praktische Vorgehensweise um die Wasserversorgung zu sichern.
Das tiefe Dunkel des Brunnenschachtes hat aber ganz offensichtlich neben den profan-notwendigen Aspekten auch immer die Phantasie angeregt. Er stellte stets ein Requisit in Märchen dar (Goldmarie, Froschkönig usw.) und spätestens als auf der Kinoleinwand ein kleines und ziemlich nasses japanisches Mädchen aus einem ebensolchen kletterte, hatte sich der Brunnen seinen Platz im modernen Horrorgenre gesichert. Tatsächlich aber hat die kühle Tiefe den Anspruch des Gruseligen schon viel länger. So ist es eine der wenigen tatsächlich vor das 19. Jahrhundert zurückdatierende Wiener Sagen, die davon berichtet, was sich außer Wasser (von mangelhafter Qualität) noch in einem Brunnen finden kann.
Spaziert man aus dem mittelalterlichen „Kernbereich“ (die Reste des ehemaligen Legionslagers nach derzeitiger Lesart) des 11./12. Jahrhunderts nach Osten, kommt man nach dem Queren der Rotenturmstraße in einen Bereich, der von der Forschung lange als „Bäckerstraßen Vorstadt“ postuliert wurde. Ab dem Lugeck soll sich ein mehr oder weniger ovales, vorstädtisches Gebilde bereits im 11. Jahrhundert erstreckt haben. Und auch wenn sich diese Theorie leider hält, muß dezidiert festgehalten werden: Beweise für diese Vorstadt gibt es keine. Bauforschung entlang der Sonnenfelsgasse und Bäckerstraße konnte kein Mauerwerk aus dieser Zeit zu Tage fördern und im Bereich der üppig ausgegrabenen und aufgearbeiteten Alten Universität geht es überhaupt erst richtig im 13. Jahrhundert los (dendrodatiert!). Was sich natürlich allenthalb findet – und zwar von der Rotenturmstraße bis zur Postgasse – sind vereinzelte ältere Keramikfragmente. Das darf nicht verwundern. Auch ohne die „legendäre“ Vorstadt, hat sich in diesem Bereich sicherlich die eine oder andere Behausung befunden, vor allem aber haben wir hier eine Ausfallsroute in Richtung des heutigen 3. Bezirks. Wie sehr diese mit der alten römischen Straße in Richtung der Zivilstadt identisch war, ist eine Frage für einen anderen Blog, denn es würde zu weit von unserem Objekt der Begierde wegführen.
Unser Ziel liegt direkt in diesem Grätzel: Die Schönlaterngasse – genau gesagt Haus Nr. 7! Mit ihrem eng-altmodischen Ambiente gilt dieses Gässchen als der Schauplatz eines ganz eigenen Abstiegs in die Wiener Unterwelt. Dort soll sich ein Bäckergeselle in einen Brunnenschacht begeben und einen Basilisken*, der sich dort eingenistet hatte, mit vorgehaltenem Spiegel zum Versteinern gebracht haben. Diese drastische Brunnenungeziefervernichtung war nötig geworden, angesichts der Miasmen, die solch ein Basilisk verströmt – auch eine sagenhafte Ausrede um die bezaubernden Duftnoten zu erklären, die ab und an sicherlich durch das mittelalterliche und frühneuzeitliche Wien wehten.
Im Haus selbst wurde nie ein Brunnen archäologisch untersucht, an mittelalterlichen und frühneuzeitlich Brunnen mangelt es in Wien aber nicht. Alleine auf der Parzelle Tuchlauben 17 wurden drei Stück ausgegraben und nur wenige Schritte vom Basiliskenhaus entfernt, kann man im Zwölfapostelkeller, im sogenannten „Brunnenkeller“, neben einem solchen essen und trinken. Und nicht zuletzt kann man in der Virgilkapelle ein höchst untypisches Beispiel für einen mittelalterlichen Brunnen bewundern.
Das Verhältnis des Archäologen – vor allem des Fundbearbeiters – zu Brunnen ist märchenhaft gierig. Dazu muß man wissen, dass dem durchschnittlichen Brunnen, sobald man ihn aus irgendeinem Grund nicht mehr brauchte oder eine Verwendung nicht mehr ratsam erschien, eine glorreiche Umorientierung in Richtung Abfallentsorgung (manchmal auch mittelfristig Latrine?) zuteil wurde. Und Abfall bedeutet in diesem Fall zumeist die Entsorgung ganzer Haushaltsbestände, Holz, Leder, Glas und Keramik – alles in einem recht vollständigen oder zumindest leidlich gut restaurierbaren Zustand. Wie und warum Haushaltsbestände so vollständig entsorgt wurden, ist noch eine offenen Frage, aber ein Glücksfall für die Archäologie. Tatsache ist: Nirgends lassen sich so schön keramische Ganzformen finden, wie in einer Latrine und oder eben in einem Brunnen, Glasobjekte, die die Mühe lohnen, und in der Feuchtigkeit hält sich, wie gesagt, gegebenenfalls auch einmal Leder. So technisch schwierig und klaustrophobisch die archäologische Arbeit in einem Brunnenschacht auch sein mag – die Ernte ist oft üppig und mengenmäßig in der Aufarbeitung oft kaum zu bewältigen.
Um noch einmal auf unseren Basilisken zurückzukommen (und nein, wir haben noch nie einen solchen am Grunde eines Brunnens gefunden – leider!). Die Theorie, dass es sich bei dem widerlichen Geruch um giftige Erdgase gehandelt haben soll, gibt es von geologischer Seite natürlich auch – das würde einen bezüglich der generellen Qualitätsmängel des Wiener Brunnenwassers im Mittelalter ja fast schon beruhigen.
Und in noch einem Punkt habe ich eine gute Nachricht für sie: Sollten wir einmal doch auf einen Basilisken stoßen, dann wird der nette kleine Kerl dank des allgegenwärtigen Smartphones, das ihm sicher ein tapferer Archäologe sofort vor die Nase hält, umgehend hier vorgestellt– und vermutlich über Facebook sofort „viral“ werden. Sie sind skeptisch? Sie glauben nicht an Basilisken und ähnliches? Wunderbar! Sie sind ein Realist der mit beiden Beinen auf fester Erde steht, sicher vor den Spinnweben von Aberglauben und Altweibergeschichten! Dann haben sie sicherlich auch noch nie eine Münze in einen Brunnen geworfen, weil das Glück bringen soll? Dachte ich es mir doch ….
* Was ist ein Basilisk eigentlich?
Da gehen die Meinungen auseinander, aber die Idee, das er aus einem Hahnenei(!) geschlüpft sein soll, das von einer Kröte oder Schlange ausgebrütet wurde, findet sich immer wieder. Ganz grundsätzlich ist der Basilisk giftig und lebt erstaunlicherweise eher an trockenen Plätzen. Verirrt er sich aber in wasserführendes Ambiente, kontaminiert er selbiges sehr erfolgreich und flächendeckend – inklusive Miasmenbildung.
Wie man einem Basilisken beikommt, dazu gibt es verschiedene Anleitungen. Öfter als der Ansatz mit dem Spiegel, findet sich die Idee, ein Wiesel zu benutzen und in seinen Bau zu schicken (erinnert ein wenig an Ricki-Tikki-Tavi im Kampf mit Nag und Nagaina, falls sie sich noch an diesen Teil des Dschungelbuchs erinnern). Offenbar ist dem Wiesel bei dieser Vorgehensweise allerdings im Gegensatz zu Kiplings Helden der Tod bestimmt. Eine weitere Möglichkeit – und in Wien bekannter – ist es, ihm einen Spiegel vorzuhalten. Da sein Blick versteinernde Wirkung hat, kann man selbige dadurch auf den Basilisken zurück projizieren. Dass es sich bei diesem Fabeltier um ein Geschöpf ohne positive Aspekte und mit dezent satanischen Gleichsetzungen handelt, muss wohl nicht weiter betont werden.