Noch einmal Scherben aus der Werdertorgasse

Autorin: Christine Ranseder

Die Funde aus der Werdertorgasse beschäftigen uns noch immer und werden uns auch weiter auf Trab halten. Beim sortieren und bearbeiten von Fotos der Malhornware im Homeoffice – wie die meisten von uns, bin auch ich derzeit von „meinen“ Funden getrennt – stellten sich zwei Bruchstücke als besonders spannend heraus.

Falls Ihnen schon die Frage auf der Zunge liegt, ob sich denn Scherben zu größeren Gefäßteilen zusammensetzen ließen, lautet die Antwort „Leider nein.“ Dennoch kann festgestellt werden: Die beiden hier ins Rampenlicht gerückten Stücke dürften ziemlich sicher von einem Krug stammen.

Malhornware aus der Werdertorgasse, Wien 1. (Foto: Stadtarchaeologie Wien/Christine Ranseder)

Schon bei der groben Fundaufnahme stach die hervorragende Qualität dieser Malhornware aus dem späten 16./frühen 17. Jahrhundert hervor. Die Gefäßwand ist dünn, die mit dem Malhorn großzügig aufgetragene Engobe formt schwungvolle Muster und eine darüber aufgebrachte transparente Glasur verleiht matten Glanz. Es handelt sich eindeutig nicht um ein lokales Produkt, sondern Importware.

Warum aber finde ich gerade diese beiden Scherben so spannend? Vielleicht mag das jetzt weit hergeholt klingen, aber für mich machen sie häusliche und damit weibliche Arbeit sichtbar. Deren Bildwürdigkeit könnte gar als ein Ausdruck der Wertschätzung interpretiert werden. Bei dem wolkenartigen Gebilde, das auf einem Stab sitzt, handelt es sich nämlich um einen Spinnrocken. In einer Zeit der billigen T-Shirts werden Bedeutung und Mühsahl der Textilproduktion – von der Gewinnung der Faser über das Spinnen des Fadens und das Weben des Tuchs bis zur Anfertigung von Kleidungsstücken – gerne vergessen, denn sie bleiben unsichtbar. Doch bis weit ins 20. Jahrhundert war das textile Handwerk, später die Textilindustrie, ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Europa. Nicht nur ließ sich mit Textilien trefflich Handel treiben, ihre Herstellung spielte auch eine Rolle bei der Selbstversorgung der Haushalte, in denen emsig gesponnen, gewebt und gestrickt wurde, um die Familien einzukleiden. Oft konnte so auch ein Zubrot, ein wenig Geld, erwirtschaftet werden. Die Arbeit verrichteten großteils Frauen, deren Hände niemals ruhten.

Eine unserer Scherben zeigt eine Person, die einen langen Rock trägt und sich damit als weiblich zu erkennen gibt. Die Falten des Stoffes sind mit einem spitzen Instrument in die Engobe eingeritzt, es kommt zu den angewandten Verzierungstechniken des Kruges also auch noch Sgraffito hinzu. Die Frau sitzt auf einem niederen Sessel vor einem stehenden Spinnrocken, sie hat ihn sich also nicht unter dem Arm geklemmt. Derartige Konstruktionen waren in der ehemaligen Tschechoslowakei und Deutschland, aber auch Ungarn beliebt, wie bildliche Darstellungen und Originalobjekte belegen. Handelt es sich dabei gar um einen Fingerzeig auf die geografische Herkunft der Malhornware aus der Werdertorgasse?

Eines ist sicher, unsere Spinnerin war fleissig, denn hinter ihr liegen schon eine Spindel mit dicker Fadenumwicklung und Rohwolle, die darauf wartet, zu einem Faden versponnen zu werden.