Trügerische Idylle am Revers

Autorin: Christine Ranseder

Man findet sie auf Flohmärkten oder in Altwarenläden und auch so manche Ausgrabung bringt sie wieder ans Tageslicht: Winterhilfswerk-Abzeichen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die hier gezeigten Exemplare stammen aus einem mit dem Schutt zerstörter Häuser verfüllten Luftschutzdeckungsgraben. Er wurde während einer archäologischen Untersuchung im Anton-Baumann-Park angeschnitten.
So niedlich diese kleinen Funde auch sein mögen, sie haben eine belastete politische Bedeutung.

Das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes (WHW)

Das im September 1933 gegründete Winterhilfswerk des Deutschen Volkes (WHW) sammelte in den Wintermonaten Sach- und Geldspenden, die Hilfsbedürftigen im Rahmen von Initiativen der Sozialfürsorge zugutekamen. Darüber hinaus zielten die Straßen- und Haussammlungen darauf ab, zur Opferbereitschaft zu erziehen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. So sollte zum Beispiel an „Eintopfsonntagen“ ein Eintopfgericht gegessen und die Preisdifferenz auf ein Sonntagsessen an der Wohnungstür gespendet werden.

Die meisten der als Spendenbelege von Oktober 1933 bis März 1943 ausgegebenen WHW-Abzeichen waren mit einer Anstecknadel versehen und konnten daher als sichtbarer Nachweis für die erfolgte Geldspende an der Kleidung befestigt werden. Darüber hinaus gab es Plaketten für Haus- und Wohnungstüren als Beleg für das von den Bewohnern geleistete „Opfer“.

Zur Linderung der durch die Weltwirtschaftskrise verursachten Not gedacht, wurde das Winterhilfswerk zu einem wichtigen Instrument der nationalsozialistischen Propaganda. Es unterstand direkt dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Durch minutiös geplante Aktionen und Spendenaufrufe − begleitet von redaktionellen Beiträgen in Zeitungen, Plakaten sowie Interventionen im öffentlichen Raum − war das Winterhilfswerk im Alltag allgegenwärtig. Werbewirksam wurde 1938 sogar ein Elefant als Plakatträger durch Wien geführt.

Werbung für die Sammlung des Winterhilfswerks 1938/39 am Rathausplatz in Wien, Fotografie, 1938. (Wien Museum Inv.-Nr. 163925 und 163923)

Märchenfiguren, Kriegsspielzeug & Co

Das nationale Themenspektrum der WHW-Abzeichen reichte von harmlosen Motiven, wie heimischen Schmetterlingen und Singvögeln, über Märchenfiguren und –heftchen bis zu Militaria und archäologischen Funden. Sie erschienen zumeist in Serien, die zum Sammeln – und damit mehrmaligen Spenden – verleiten sollten. Zugleich gelang es mit den dekorativen Spendenbelegen, die als Schmuck getragen werden oder als Kinderspielzeug dienen konnten, nationalsozialistische Ideologie im Alltag zu verankern.

Ebenso vielfältig waren die verwendeten Materialien (Porzellan, Glas, Kunststoff, Holz, Metall, Papier, Stoff, Bernstein) der in gigantischer Stückzahl produzierten WHW-Abzeichen. Die Großaufträge sollten die schwächelnde deutsche Industrie stützen.

Zwei der in der Verfüllung des ehemaligen Luftschutzdeckungsgrabens im Anton-Baumann-Park gefundenen Spendenbelege des Winterhilfswerks bestehen aus Porzellan. Die Figuren „Hans im Glück“  und „Der gestiefelte Kater“  stammen aus der Serie Volksmärchen der 6. Reichs-Straßensammlung vom März 1943.
Bei unseren Funden handelt es sich um Standfiguren, die – wie das Loch an ihrer Rückseite zeigt − hohl gegossen wurden. WHW-Abzeichen im Bestand des Deutschen Historischen Museums (Berlin) zeigen jedoch, dass es die Figürchen der Serie Volksmärchen auch als Broschen und Anhänger gab.

WHW-Abzeichen „Hans im Glück“ (Volksmärchen, 6. Reichs-Straßensammlung vom März 1943), gefunden in der Verfüllung eines ehemaligen Luftschutzdeckungsgrabens, Anton-Baumann-Park, Wien 18. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)
WHW-Abzeichen „Der gestiefelte Kater“ (Volksmärchen, 6. Reichs-Straßensammlung vom März 1943), gefunden in der Verfüllung eines ehemaligen Luftschutzdeckungsgrabens, Anton-Baumann-Park, Wien 18. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Der aus Kunststoff gepresste und bemalte „Fränkische Goldanhänger“ aus der Serie Schmuck alter Kulturvölker mit „Hakenkreuz-Symbol“ der 1. Reichs-Straßensammlung vom September 1941 konnte als Brosche getragen werden. Die Anstecknadel ist bei unserem Fund jedoch entweder im Boden vergangen oder abgefallen. Die Rückseite des WHW-Abzeichens trägt die Aufschrift „Köln-Müngersdorf Goldanhänger 550−600 Fränkisch“. Sie verweist auf das 1929 in Köln-Müngersdorf in der Nähe des Stadions ausgegrabene fränkische Gräberfeld (5.−7. Jh.), dessen Bestattungen zum Teil noch reiche Beigaben aufwiesen. Der Spendenbeleg zeigt, dass nicht nur wissenschaftliche Ausgrabungen und Publikationen, sondern auch archäologische Funde von den Nationalsozialisten zu Propagandazwecken instrumentalisiert wurden!

WHW-Abzeichen „Fränkischer Goldanhänger“ (Schmuck alter Kulturvölker mit „Hakenkreuz-Symbol“, 1. Reichs-Straßensammlung vom September 1941), gefunden in der Verfüllung eines ehemaligen Luftschutzdeckungsgrabens, Anton-Baumann-Park, Wien 18. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Fazit

WHW-Abzeichen zeigen, wie mit vermeintlich harmlosen Gegenständen Gedankengut transportiert werden kann. Sie reihen sich in den Reigen der kleinen Sammelobjekte ein, die zu kommerziellen, religiösen oder eben politischen Werbezwecken verteilt wurden und werden.

Ob unsere Funde zufällig mit dem Schutt zerstörter Gebäude in die Verfüllung des Luftschutzdeckungsgrabens kamen oder jemand die Gelegenheit nutzte, sich nach dem Ende des Nationalsozialismus verfänglich gewordener Gegenstände zu entledigen, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr klären. Sicher ist, dass im Rahmen der Erforschung der Neuzeit auch die Aufarbeitung politisch aufgeladener Alltagsgegenstände aus der Zeit des Nationalsozialismus zum Aufgabengebiet der Archäologie gehört.

Mehr zur Ausgrabung gibt es in Fundort Wien zu lesen:
Kristina Adler-Wölfl/Heike Krause, Archäologische Voruntersuchung in Wien 18, Anton-Baumann-Park, Wasserturm (Projekt U-Bahn-Linie U5). In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 23, 2020, S. 166–172.