Autorin: Constance Litschauer
Die Zeitenwende und das Wiener Becken: auch für die damals hier noch im Stammesbündnis des regnum Noricum siedelnden Boier ein sich ankündigender Wendepunkt. Warum? Die bereits zuvor in unseren Breiten aufgrund von Handelstätigkeiten und abgeleisteten Söldnerdiensten nicht gänzlich unbekannten Römer waren unterwegs, um ihr Imperium zu vergrößern und neue Plätze zum Siedeln zu finden. Unter anderem entlang der Donau, die sich schon bald zu einem Teil des pannonischen Limes entwickeln würde: bildete sie doch eine ideale natürliche Grenze zu den nur schwer zu bändigenden Barbaren.
Der Ausgang der Wiener Pforte – eine Engstelle zwischen Leopoldsberg im Süden und Bisamberg im Norden – war schließlich eine jener Gegenden, die aufgrund ihrer topografischen Voraussetzungen für ideal befundene Siedlungsvoraussetzungen bot: eine an einem Flussverlauf gelegene Erhöhung in Form der Wiener Stadtterrasse.
Was hier sonst so los war und damit im Zusammenhang steht? Der von Tiberius geführte Feldzug gegen die Markomannen unter König Marbod im Jahr 6 n. Chr. im heutigen Böhmen musste abgebrochen werden, da in Illyrien auf der westlichen Balkanhalbinsel der pannonisch-dalmatische Aufstand ausbrach. Doch mit – aus römischer Sicht – viel Glück konnten diese Unruhen bereits 9 n. Chr. von dem von Augustus als Nachfolger ausersehenen Feldherrn erfolgreich niedergeschlagen werden. Das führte um 9 n. Chr. auch zur Einrichtung der Provinz Pannonien, zunächst Illyricum Inferius genannt, die das Wiener Becken umfasste und nicht nur ans Barbarikum angrenzte, sondern ebenfalls an die weiter nach Westen verschobene römische Provinz Noricum.
In Folge dieser neuen Gegebenheiten ist im Raum Wien mit der baldigen Anwesenheit von Römern und entsprechenden Siedlungsstrukturen zu rechnen. Viele Rekonstruktionsversuche zum Ablauf dieser frühen Okkupationsphase scheitern jedoch aufgrund der jüngeren Überbauung der Stadt, den kaum vorhandenen Funden und den kaum erhaltenen baulichen Resten. Dass die Suche nach Spuren zum sicherlich zwischen der 1. Hälfte des nachchristlichen Jahrhunderts und spätflavischer Zeit existierenden Vindobona aber weiterhin vielversprechend und noch nicht beendet ist, haben wir vor allem einigen wenigen Fundstücken und einigen spärlichen Befunden zu verdanken, die hier vorgestellt werden sollen.
Fast schon eine lokale Berühmtheit ist ein 1833 im Haus Stephansplatz 8/8a dokumentierter Grabstein: Er war dem noch während seiner aktiven Dienstzeit verstorbenen Soldaten C(aius) Atius der legio XV Appolinaris gewidmet und gilt bis heute als frühester Nachweis für die Anwesenheit einer Truppe in Vindobona. Legen doch die epigraphischen und stilistischen Merkmale – wie die Form einer rahmenlosen Stele sowie fehlende formelhafte und abgekürzte Wendungen der Inschrift – eine Datierung während der Regierungszeit des Tiberius (14–39 n. Chr.) bzw. vor dem Regierungsantritt des Claudius I. (41–54 n. Chr.) im Jahr 41 n. Chr. nahe. Damit ist die Aussagekraft des für die Geschichte des frühen Vindobonas sehr wichtigen Schriftdenkmals aber bereits begrenzt und es stellt sich weiterhin die Frage, ob die 15. Legion tatsächlich hier stationiert war.
Aber auch ein baulicher Befund ist für die Rekonstruktion des frühkaiserzeitlichen Vindobonas von großer Bedeutung: ein Spitzgraben, der sich aufgrund seiner im unteren Bereich gemessenen Breite von beachtlichen 8,3 m gut mit anderen Lagergräben vergleichen lässt. Er wurde 1995 bei Ausgrabungen im Schottenkloster auf der Freyung im 1. Bezirk angeschnitten und legt nahe, dass sich hier ein Kastell – nicht das Legionslager, dazu das nächste Mal – befunden haben musste.
Wer also waren die Bewohner dieses Holz-Erde-Lagers, wenn es keine Legionssoldaten waren? Drei nicht allzu weit entfernt im Bereich der Stallburg gefundene Grabsteine erlauben diesbezüglich die Vermutung, dass die 1000 Mann starke Ala I Flavia Augusta Britannica Milliaria civium Romanorum hier für kurze Zeit stationiert war. Nachdem die Reitereinheit wahrscheinlich im Zuge der Germanenkriege des Domitians in den Jahren 89 bis 92 n. Chr. oder bald nach dem Friedensschluss im Jahr 93 n. Chr. den Stützpunkt erreichte, verließ sie ihn jedoch bereits am Anfang des 2. Jahrhunderts wieder. Sie wurde vermutlich im Jahr 101 n. Chr. abkommandiert, um mit Trajan (98–117 n. Chr.) in den Dakerkrieg zu ziehen. Ob allerdings die ala I Batavorum in den Stützpunkt nachfolgte – dies legt einzig und alleine ein in Ungarn gefundenes Militärdiplom aus dem Jahre 115 n. Chr. mit entsprechendem Inhalt nahe – liegt weiterhin im Dunklen.
Zu diesem etwas verschwommenen Bild des frühen Vindobonas gesellen sich einige archäologische Strukturen, die aufgrund fehlender Funde jedoch alles andere als gut datierbar sind. Betrachtet man allerdings die relative chronologische Abfolge der Stratigrafie im Wiener Boden, ist für die im gewachsenen Lössboden fußenden Reste eine Entstehungszeit im 1. nachchristlichen Jahrhundert anzunehmen. Dass es sich dabei nicht selten um Gebäude gehandelt haben wird, die in Holz-Lehm-Bauweise errichtet wurden, zeigen nicht nur die verfüllten Pfostenlöcher und Pfostengruben, sondern vor allem die Holzbalkengräbchen mit daran anhaftenden gelben Lehmresten. Hier ist es aus derzeitiger Sicht naheliegend, einige im Bereich der Freyung aufgedeckte Gebäudereste einem zum Reiterkastell gehörenden und uns kaum bekannten vicus zuzuordnen. Was wäre das auch für ein Soldatenleben gewesen: am Ende der zivilisierten römischen Welt und keine Siedlung, um Handel betreiben und Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können?
Und wer jetzt wissen will, was andere dieser Strukturen mit dem Legionslager zu tun haben, darf sich auf den nächsten Römer-Blogbeitrag freuen.