Das römische Legionslager – Teil 4: Quid sit futurum cras, fuge quaerere – Was morgen sein wird, meide zu fragen: auch die römische Herrschaft endete einmal in Vindobona

Autorin: Constance Litschauer

Der Showdown beginnt und es bleibt spannend! Die auf das Auslaufen der römischen Expansionspolitik und die Reformen des Septimius Severus folgende Epoche der Soldatenkaiser entspricht in unseren Breiten nicht nur politischen Entwicklungen, die in die Spätantike führten, sondern ebenfalls Veränderungen durch Naturkatastrophen. Aber auch das ab dem 4. Jh. n. Chr. nahende Ende der römischen Okkupation hat bis zuletzt Spuren am Wiener Legionslager hinterlassen.

Ein Raum der 10. Legion mit Estrichboden sowie einer Lehmziegelmauer mit Verputzresten vom Judenplatz. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Zuerst zum 9.4. 193 n. Chr. und den Carnuntiner Truppen: damals konnte mit ihrer Hilfe die Ernennung des Provinzstatthalters Septimius Severus zum Kaiser erfolgen, was günstige Voraussetzungen für die Entwicklung Pannoniens und das Militär bot. Übrigens war die ehemals in Vindobona stationierte 14. Legion hierbei federführend beteiligt! Bei den anschließenden Reformen gab es neben drastischen Solderhöhungen für die Soldaten – diese mussten bei Laune gehalten werden – ab jetzt auch die Möglichkeit zur Eheschließung und ein Wohnrecht für ihre Angehörigen in der Lagervorstadt. Außerdem ist anzunehmen, dass die Zivilsiedlung von Vindobona spätestens in severischer Zeit das Munizipalrecht verliehen bekam, ehe 212 n. Chr. mit der Constitutio Antoniniana des Caracalla alle freien Reichsbewohner das römische Bürgerrecht erhielten. Für den Truppenstandort Vindobona bedeuteten diese Entwicklungen neuerliche Umbauarbeiten, bei denen erstmals Stein in größerem Ausmaß als Baumaterial auch bei den Mannschaftsquartieren zum Einsatz kam. Anstelle der alten Holzgebäude sind jetzt gleich orientierte Einbauten mit Steinsockeln und aufgehendem Fachwerk oder Lehmziegelmauern typisch.

Grundrissplan mit der markanten Abbruchkante im Norden des Lagers. (Plan: Martin Mosser)

Mit dem Ende der Herrschaft der Soldatenkaiser und der Veränderungen durch die Einführung der Tetrarchie im Jahr 293 n. Chr. unter Diokletian kam es abermals zu Neuerungen im Lager von Vindobona. Seine Form – wie schwer zu übersehen ist – erscheint plötzlich nicht mehr klassisch rechteckig, sondern trapezförmig und geht auf Unterspülungen sowie Unwetter mit Hochwasser zurück. Diese endeten um die Wende vom 3. zum 4. Jh. n. Chr. mit einem Hangrutsch im Bereich der zur Donau hin orientierten nördlichen Flanke und damit in der Umformung des Lagergrundrisses.
An dieses Unglück erinnert möglicherweise ein in der Schallautzerstraße gefundener Altar für Jupiter und Acaunus. Die neue nördliche Grenze entspricht in der Folge in etwa dem Verlauf der Salvator- und Sterngasse und bildet beispielsweise im Bereich der Ruprechtskirche eine immer noch markante Kante. Die Verkleinerung der Fläche war jedoch verkraftbar, da im Zuge der Militärreformen des Diokletian bzw. Constantin I. die Truppenstärke reduziert wurde. Die geschrumpfte Mannschaft konnte also problemlos untergebracht werden. Damit einher gingen in der 1. Hälfte des 4. Jhs. n. Chr. Verbesserungen an den contubernia, die nicht nur neu errichtete Korridore vom Eingang zum Hauptraum und zahlreiche Feuerstellen wie unterschiedliche Öfen umfassten. Ebenso wurden erstmals Schlauchheizungen eingebaut und die Kopfbauten der Kasernen erweitert. Gleichzeitig ist feststellbar, dass die Nutzung der Werkstätten nicht mehr nur militärisch, sondern manchmal bereits zivil war. Das dank der Militärreform nicht mehr vollständig von Soldaten genutzte Lagerareal wurde inzwischen ebenfalls von Bewohnern der Lagervorstadt bewohnt, da sie vor den immer öfter einfallenden Feinden Schutz innerhalb der Lagermauern suchten.

Reste des Gussmauerfundaments der südlichen Lagermauer an der Sohle einer Künette in der Naglergasse. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Veränderungen im Lauf der Zeit erfuhr auch das in den bisherigen Lagerblogs stiefmütterlich behandelte Befestigungssystem aus Mauer, Graben- und Fallensystemen. Seine Strukturen sind immer noch im Stadtplan Wiens zu erahnen, da nicht nur Bezeichnungen daran erinnern, sondern auch der Verlauf einiger Straßezüge: Tiefer Graben, Naglergasse/Graben, Rotenturmstraße sowie der Donaukanal bzw. in der Spätantike in etwa die Salvator- und Sterngasse. Die Stärke der angetroffenen Bruchstein- und verschalten Gussmauern ist dabei mit mindestens 2–2,5 m als massiv zu bezeichnen. Die Lagermauer erfuhr allerdings unter Valentinian I. entweder eine Verbreiterung auf mehr als 3 m, oder eine Versetzung. Vermutlich besteht hier nicht nur ein Zusammenhang mit einer allgemeinen letzten Verstärkung des Donaulimes, sondern ebenso mit einem Erdbeben. Es ist nach der Mitte des 4. Jhs. anzusetzen und hinterließ in Carnuntum massive Schäden. Das auch für Vindobona zu vermuten, legen neuerliche Umbauten im Lagerinneren nahe: so wurden Mauern erneuert, alte Durchgänge verschlossen oder die Schlauchheizungen aufgegeben und wo anders erneuert. Zugleich dienten einige der Mannschaftsbaracken jetzt als Werkstätten.

Zurück zur Lagermauer, die ja ebenfalls über Türme und vier Tore verfügte. Letztere lagen in der Flucht der Hauptachsen – der via principalis und der via praetoria bzw. via decumana, wobei die drei uns bekannten teilweise bei der Rekonstruktion des Mauerverlaufs hilfreich waren. Nämlich die Doppeltoranlage der porta principalis sinistra im Bereich der Hohen Brücke, die porta decumana, das im Süden gelegene Haupttor an der Ecke Naglergasse/Tuchlauben sowie die porta drincipalis dextra an der Ecke Kramergasse/Ertlgasse. Die porta praetoria dürfte hingegen der Hangrutschung zum Opfer gefallen sein.

Blick auf ein ausgenommenes Grabensegment mit steilschräger innerer Grabenkante. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Der Lagermauer vorgesetzt fand sich das Grabensystem, das in Wien zumindest meistens als dreiteilig angenommen werden darf und zuletzt teilweise auch am Rabensteig aufgenommen werden konnte. Dabei setzte im Abstand einer Berne von nur 0,5 m der innerste Spitzgraben an, der häufig Steindenkmäler in seiner Verfüllung aufwies. Im Abstand von 8 m folgte ein noch im Mittelalter verwendeter und vermutlich ursprünglich mehr als 10 m breiter Sohlgraben, ehe ein in 3 m Abstand folgender äußerster Spitzgraben das System abschloss. Dass es innerhalb dieser Gliederung Veränderungen oder andere Ungereimtheiten gab und gibt, zeigt sich vor allem im östlichen Abschnitt der Nordseite: hier ist nach derzeitigem Stand anzunehmen, dass der äußerste Graben noch in römischer Zeit einplaniert wurde, während die beiden innersten Gräben zu einem Entwässerungskanal umfunktioniert wurden. Ergänzenden Schutz boten schließlich auch in Wien die unterschiedlichen Fallensysteme. Das belegen wiederum Reste von Fallgruben und Palisadenzäunen, die im Bereich der porta decumana an der Südseite dokumentiert werden konnten sowie im Nordosten in der Rotgasse, in der Rotenturmstraße und am Rabensteig.

Ein für die Spätantike typischer Verfallshorizont mit Lehmziegelversturz und Tegula-Bruch vom Judenplatz. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Allerdings konnte auch dieses Verteidigungssystem nicht den Lauf der Geschichte und damit das Ende des Imperium Romanum stoppen. Das unterstreichen auch die Reste der Unterkünfte vom Judenplatz und den Werkstätten vom Am Hof. Über einem Verfallshorizont sowie Schutt- und Planierschichten entstanden hier noch einmal neue Gebäude. Sie benutzten zwar weiterhin die alten Steinsockeln, aber ihre Trockenmauern und Holzwände mit Lehm- oder Estrichböden und Feuerstellen weisen darauf hin, dass nur noch einige Raumeinheiten adaptiert und die alten Baulinien ignoriert wurden. Sie dienten bis ins frühe 5. Jh. n. Chr. – aus derzeitiger Sicht bis in die 30er Jahre – ein letztes Mal zu Wohnzwecken, zum Kochen oder Aufbewahren sowie als Werkstätte oder Stallung, ehe sie wie Vindobona verlassen wurden und brach lagen.