Autorin: Christine Ranseder
… und ein Blümlein gibt es als Draufgabe. Erfreulicherweise vergrößert sich die Zahl der Wiener Nachweise von Keramik mit Malhorndekor dank der jüngsten Ausgrabungen. Darstellungen von Mensch und Tier bleiben dennoch eine Seltenheit. Daher sind Bruchstücke von Tellern mit figurativem Dekor aus dem Fundmaterial der – im Zuge des Ausbaus der Fernkälte stattfindenden – Künettengrabung Dominikanerbastei besondere Gustostückerl. Nicht zuletzt erzählen sie eine Geschichte von Sein und Schein.
Heute gibt es die Sozialen Medien, um zu zeigen, wer man gerne sein möchte. Früher ging das ausschließlich unmittelbar in der realen Welt: auf der Straße, in der Kirche, bei sozialen Zusammenkünften aller Art, nicht zuletzt beim gemeinsamen Essen und Trinken − sei es beim offiziellen Festbankett oder in kleiner Runde im trauten Heim. Hier wie dort spiel(t)en Dinge eine bedeutende Rolle, um den eigenen Status herauszustreichen. Selbst in einer streng nach Ständen gegliederten Gesellschaft dienten sie im Spannungsfeld zwischen Verordnungen und wirtschaftlichen Tatsachen als Ausdrucksmittel von Selbstverständnis und Aufstiegsträumen.
Sogar bescheidene Keramik kann als Zeichen dienen. Und damit sind wir auch schon wieder bei unseren Bruchstücken angelangt. Oberflächlich betrachtet zeigen sie Ausschnitte eines hübschen Dekors mit positiv besetzten Motiven. Bei der Interpretation gibt es jedoch Luft nach oben. Wobei natürlich niemals vergessen werden sollte, dass diese aus heutiger Sicht erfolgt. Die Besitzer der Teller dachten vielleicht ganz anders − oder gar nicht, weil man dem Motto „Das ist halt so“ folgte.
Was könnte also das Bein mit strammer Wade verraten? Schon auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass es sich bei der dargestellten Person um einen Mann handelt, denn das Bein steckt in einer Hose. Die ungelenke Wiedergabe einer kurzen Pluderhose erinnert mit ihrer Binnenzeichnung aus senkrechten parallelen Ritzlinien an die aus aneinandergrenzenden Stoffstreifen bestehende äußere Schicht der sogenannten Heerpauke. Diese Hosenform war ein charakteristischer Bestandteil der auch für die Kleidung des Wiener Adels maßgeblichen spanischen Hofmode. Ihren Höhepunkt erlebte sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, erst nach etwa 1620 verschwand die Heerpauke gänzlich. In der Bevölkerung konnte das elitäre Beinkleid nicht recht Fuß fassen, erst in der Spätphase der Mode wurde es von reichen Bürgern übernommen. Die Datierung der Hose passt trefflich zu jener des Tellers, denn es handelt sich stilistisch um Malhornware des späten 16./frühen 17. Jahrhunderts. Man wollte also beweisen, dass man am Puls der Zeit ist, auch wenn Töpfer, Händler und Käufer im wirklichen Leben anders gekleidet waren.
Der Hirsch ist noch heute eine beliebte Zier, obwohl nur wenige Käufer der mit ihm geschmückten Gegenstände tatsächlich auf die Jagd gehen. Bereits im 17. Jahrhundert leisteten sich reiche Bürger, die zwar Aufstiegsambitionen jedoch nicht das Jagdrecht besaßen, prachtvolle Jagdbeutestillleben als Wandschmuck. Ärmere Zeitgenossen begnügten sich wohl mit der Darstellung eines Hirschleins am Teller als Statussymbol.