Autorin: Ingeborg Gaisbauer
Sie sind gar nicht so selten im Wiener Fundmaterial! In meist recht durch den Gebrauch „zerstörten“ Resten finden sie sich allenthalben, aber selten genug sind sie ganz – und noch nie zuvor hatten sie einen Deckel: Schmelztiegel aus Grafitton!
Die Fundstellen Friedrich-Schmidt-Platz und Landesgerichtsstraße sind es diesmal, die uns ein „Neues aus der Werkstatt“ bescheren. Bei den Funden handelt es sich konkret um eine Menge kleiner, dreieckig ausgezipfelter Schmelztiegel, wie man sie für die Bunt- bzw. Edelmetallverarbeitung verwendet hat.
Grundsätzlich kann ein Schmelztiegel aus anstehendem Ton, der wenig oder keine Besonderheiten aufweist, gefertigt werden. Effizienter sind sie natürlich, benutzt man einen besonders hitzebeständigen Ton bzw. magert ihn entsprechend. Für Wiener Verhältnisse bedeutet das, dass man sich auf (importierten) grafitgemagerten Ton verlässt – und zwar nicht nur im Mittelalter, sondern auch die ganze Frühe Neuzeit hindurch. Ebenfalls weitgehend gleichbleibend ist die beliebte Form des dreieckig ausgezipfelten Tiegels, der somit über gleich drei Schmelzgutausgüsse verfügt und sich gut mit einer Zange greifen lässt.
Bei rein funktionaler Keramik wird eine einmal zur Zufriedenheit entwickelte Form gerne beibehalten, egal, ob es sich um einen Nachttopf oder einen Schmelztiegel handelt. Diese formale Konstanz bei zusätzlicher Beibehaltung des grafithaltigen Materials macht die Datierung nicht leicht, vermutlich kann ab dem 13. Jahrhundert mit entsprechenden Funden gerechnet werden. Übrigens: Grafit als Magerung kommt dann nicht in Frage, wenn Glas geschmolzen werden soll, da das zu Verunreinigungen führen würde. Grafithaltige Schmelztiegel finden nur in der Metallverarbeitung Verwendung.
Mit einer eigenen spezialisierten Tiegelmacherei ist vermutlich ab der Frühen Neuzeit zu rechnen, wenn sich auf Grund verschiedener technischer Neuerungen auch die Ansprüche in der Metallurgie sowie auch Alchemie bezüglich der Produktion vervielfältigen. Das ganze Spektrum an Tiegelgrößen, die sich gerne ein wenig wie Orgelpfeifen abgestuft zeigen, um die entsprechende Bandbreite zu bieten, lässt sich natürlich am besten nachempfinden, sofern es gelingt, eine Werkstätte auszugraben, aber auch im umgelagerten Abfall, wie am Friedrich-Schmidt-Platz, lassen sich verschiedene Größen an Tiegeln feststellen. Das wirklich Besondere hier ist allerdings das Vorkommen von Deckeln.
Zwei verschiedene Arten von Deckeln, beide der dreieckigen Form angepasst, liegen vor, beide sind mehr oder weniger als Steckdeckel zu bezeichnen. Einer der Deckel ist als dreieckiger Flachdeckel mit Knauf ausgeformt, bei dem das Einpassen durch eine entsprechend dimensionierte dreieckige Verstärkung erleichtert wird, der andere als Hohldeckel, an sich eher rund, aber innen mit einer im Dreieck umlaufenden Zarge, zum passgenauen Einstecken.
Beide Deckel zeigen deutliche Gebrauchsspuren, ein Umstand, der sie mit der Menge an Tiegeln verbindet. Immerhin findet sich in der Literatur der Hinweis, dass nach ca. einem Dutzend Schmelzen der Tiegel extrem dünnwandig und verbraucht gewesen sein soll, da ja bei jedem dieser Vorgänge Grafit eliminiert wurde. So besehen wundert es natürlich ein wenig, dass wir nicht noch deutlich mehr Schmelztiegel verschiedenster Größen im Abfall des späten Mittelalters und der gesamten Frühen Neuzeit finden. Noch mehr verwundert es allerdings, dass sich die Funde von maßgeschneiderten Deckeln, wiederum in verschiedenen Größen, nicht häufen.
Grundsätzlich könnte man nun sagen, dass Deckel, die heutzutage gemeinhin im Zusammenhang mit Tiegeln verwendet werden, um das Abkühlen zu verlangsamen und das Verdampfen zu verringern, bei den meisten metallurgischen Prozessen, in die unsere archäologischen Tiegelfunde verwickelt waren, einfach nicht benötigt wurden. Dafür könnte auch sprechen, dass sich auf Abbildungen nur sehr vereinzelt, wenn überhaupt, Deckel auf Schmelztiegeln finden. Daraus resultieren würde also die Frage, welchen Zweck genau die wenigen Deckel, die im Fundmaterial aufscheinen, gehabt haben bzw. bei welchen Arbeitsschritten genau sie zur Verwendung kamen.
Da es sich bei dem Fundmaterial vom Friedrich-Schmidt-Platz und der Landesgerichtsstraße um verlagerte Funde ohne Werkstattbezug handelt, wir genauer gesagt nicht einmal ahnen können, wo diese Werkstatt in der näheren oder weiteren Umgebung gelegen haben mag, ist es auch relativ wenig aussichtsreich, über historisches Quellenmaterial in diesem Bereich nach Spezialisierungen zu suchen.
Somit wären wir bei der besonderen Relevanz dieses „Neues aus der Werkstatt“ angelangt: Je mehr Fragen offenbleiben, je weniger Parallelen vorliegen, umso wichtiger ist es, Funde möglichst rasch unkompliziert zu kommunizieren und zur Diskussion zu stellen – das hilft im Endeffekt allen Forschern, die sich mit ähnlichen Problemen auseinandersetzen.