Autorin: Michaela Müller
Wir freuen uns, dass unsere umfangreiche Monografie zu einem Wohn-, Handwerks- und Verkaufsbereich in der römischen Zivilsiedlung von Vindobona soeben erschienen ist. [1]
Die Grabungsauswertung
Fragmente des Bildes der römerzeitlichen Siedlung im 3. Wiener Gemeindebezirk konnten bei Denkmalschutzgrabungen am Rennweg 44 in den Jahren 1989/90 freigelegt werden. Schließlich ließen sich dieser Ausschnitt und seine aufeinander folgenden Schichten rekonstruieren. Für etliche Funde gelang es doch noch nachzuvollziehen, aus welchem Kontext beziehungsweise welcher Schicht sie geborgen worden sind.
Manches blieb rätselhaft wie Unmengen an Keramik, die aus einer nicht allzu großen Grube – höchstwahrscheinlich eine Pfostengrube der Periode 1 – stammen sollten und deren Datierung vom Ende des 1. Jahrhunderts bis spätrömisch reicht. Trotz aller Schwierigkeiten, welche durch die ungeeignete Grabungsmethodik, mangelhafte Dokumentation, noch zu wenig gut eingearbeiteten Mithelfenden und die vielen neuzeitlichen Zerstörungen bedingt waren, traute ich mich für diese Publikation die Verbauung darzustellen: Auf offenbar schmalen, sehr langen Parzellen befanden sich infrastrukturelle und gewerbliche Einrichtungen (v. a. Brunnen, Latrinen, Gruben zur Gewinnung von Baumaterial, Depots, Feuerstellen und Öfen) und verschiedene Gebäude. Diese Verbauung wurde mindestens viermal mehr oder weniger stark verändert. Die vier Bauperioden versuchte ich mit Hilfe der wenigen zuordenbaren Münzen, der Terra Sigillata und anderer Keramikdatierungen zeitlich einzuordnen.
Aufgrund der Baustrukturen und anhand der Funde wird eine ansässige Bevölkerung vorstellbar, die östlich des Legionslager Vindobona entlang der Fernstraße in Richtung der Provinzhauptstadt Carnuntum, ihren Lebensunterhalt durch Handwerk und Handel erwirtschaftete. Dazu versorgten sich die hier wohnenden Menschen zum Teil selbst mit Nahrungsmittel, die sie in den Hinterhöfen und der Umgebung produzierten. Die meisten lebten relativ bescheiden und gestalteten ihren Alltag zum Großteil nach römischen Vorbildern.
Zu den Befunden
Die Baustrukturen ließen sich zum Teil als Streifenhäuser erkennen, die eher als typisch für die Nordwestprovinzen angesehen werden. Diese waren quer zur Limesstraße – welcher in diesem Bereich der heutige Rennweg entspricht – ausgerichtet. Möglicherweise war die Verbauung auf einer schmalen Parzelle (in Periode 3) in zwei Häuser – eines auf der Nordhälfte und eines auf der Südhälfte – geteilt.
Gebäude 1 besaß Arbeits- und Lagerbereiche nahe der Straße und Wohnräume etwas weiter innen. Auch Verkaufslokale sind unmittelbar an der Limesstraße zu vermuten. Auf ein Vordach deuteten Pfostenlöcher und Dachziegelversturz, sowie unterschiedliche Fußbodenreste hin. Auch ein gemauerter Keller lag im mittleren Bereich der östlichsten Parzelle, von welcher nicht viel mehr erfasst wurde. Im Südteil der (rekonstruierten römischen) Parzelle 2 war ein etwas älterer Erdkeller mit Holz verschalt.
Hinter den Häusern befanden sich infrastrukturelle Einrichtungen wie Brunnen und Latrinen sowie einige Öfen, tiefere Gruben, Grubenhütten und andere seichte Gruben. Diese können von Manufakturen herrühren, denn einige Abfall- und Halbfertigprodukte geben Hinweise auf metall- und glasverarbeitende Werkstätten, Horn- und Beinschnitzerei sowie auf Keramikherstellung.
Zu den Funden
In dem 11. Band der Monographien der Stadtarchäologie Wien sind die Grabungsbefunde genau beschrieben und interpretiert, über 350 Münzen ausgewertet, die Metall-, Glas- und Beinfunde vorgelegt sowie Hinweise auf Töpferei abgehandelt.
Erwähnenswert ist eine Gemme (geschnitzer Stein, meist Ringeinsatz) mit der Darstellung des Handelsgottes und Seelengeleiters Mercurius.
Ein Hort von 1268 Münzen, deren früheste aus dem Jahr 157 v. Chr. und die jüngste aus dem Jahr 138 n. Chr. stammt, sowie 354 einzeln geborgene Münzen zeugen von florierenden Geschäften im 2. Jahrhundert (bis in das 3. Jahrhundert). Trotz der großen Anzahl der Münzen insgesamt, ist die Menge der Prägungen des 3. Jahrhunderts – im Gegensatz zum Lagerterritorium von Vindobona und zu umliegenden Städten – sehr gering.
Weitere Hinweise auf Handelstätigkeiten sind Gewichte und Bestandteile von Waagen. Schreibgeräte und Siegelkapseln bestätigen die Anwesenheit von Schreibkundigen und geben vielleicht auch Hinweis auf Buchführung.
Die Zusammensetzung der Metallfunde kann eine militärische Nutzung des Siedlungsareals nicht bestätigten, die aufgrund der Gräben in der Klimschgasse und im Bereich Hohlweggasse/Göschlgasse sowie wegen sehr früh zu datieren Terra Sigillata Stücken gelegentlich angenommen wurde.
Unter den Glasgefäßen vom Rennweg 44 sind übereinstimmend mit den anderen Fundobjekten fast gar keine spätantiken Formen vorhanden. Am häufigsten vertreten sind Schalen, Becher und Gießgefäße. Interessant ist überdies ein großes Fragment (ganzer Boden bis Randstück) eines noch nicht fertig verzierten Bechers.
Von den Beinfunden, also aus Tierkochen geschnitzte Objekten, sei auf die verschiedenen Nadeln und Musikinstrumente hingewiesen. Manufakturüberreste (v. a. Schnitzabfälle und Halbfertigprodukte) deuten darauf hin, dass manche hier hergestellt wurden.
Mehr erfahren Sie im Buch:
Michaela Müller/Rita Chinelli/Günther Dembski/Robert Linke/Constance Litschauer/Ana Zora Maspoli/Sylvia Sakl-Oberthaler/Sebastian Schmid/Helga Sedlmayer
Ein Wohn-, Handwerks- und Verkaufsbereich in der römischen Zivilsiedlung von Vindobona. Die Ausgrabungen in Wien 3, Rennweg 44
Monografien der Stadtarchäologie Wien 11 (Wien 2018)
29,7 x 21 cm. Kartoniert.
435 Seiten mit zahlr. Farb- und S/W-Abb. inkl. 5 Planbeilagen.
EUR 68,–
ISBN 978-3-85161-189-2
eBook (pdf), EUR 58,–
ISBN 978-3-85161-190-8
[1] Ich möchte hier auch Helga Sedlmayer (Metallfunde), Sebastian Schmid (Fibeln), Sylvia Sakl-Oberthaler (Glas, Beinfunde), Ana Zora Maspoli (Militaria), Constance Litschauer (Münzen), Robert Linke (organische Ablagerungen auf Beininstrumenten), Günther Dembski (Münzen) und Rita Chinelli (Keramikproduktion) für ihre fundierten Beiträge Danke sagen. Außerdem ist Eleni Eleftheriadou, Izida Berger-Pavić und Ursula Eisenmenger für die Keramikbestimmung und die Datierungen in den Fundtabellen zu danken.