Das Weltkriegsende im Wiener Boden (Teil 1): Die letzte Kriegsphase und das Kriegsende

Autorin: Constance Litschauer

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Das bietet auch uns einen guten Anlass, die an damals erinnernden Überreste im Wiener Boden archäologisch näher zu beleuchten. Besonders, da wir im Gegensatz zu verschiedenen, weiterhin das Stadtbild prägenden Einbauten auf andere, nicht mehr sichtbare Spuren treffen. Vor allem jedoch, weil es sich um genau jene handelt, die zeitlich am ehesten rund um das Kriegsende anzusetzen sind.

Die von uns dokumentierten Belege berichten von den letzten Kriegsjahren, in denen ab 1943 der Ausbau des örtlichen Luftschutzes ein letztes Mal forciert wurde, aber ebenso von der letzten Kriegsphase und vom Kriegsende. Das umfasst die ab September 1944 erfolgten Luftangriffe auf die Stadt sowie die anschließenden Bodenkämpfe. Nachdem die Rote Armee die westliche Stadtgrenze am 6. April 1945 erreichte, konnte der Kampf um Wien bereits am 13. April 1945 vom sowjetischen Heerführer Marschall Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin als beendet erklärt werden. Und so sind auch verschiedene Aufräumarbeiten der unmittelbaren Folgezeit archäologisch nachweisbar.

Kriegsschutt und Bombentrichter

Ein erst Anfang April 2025 angeschnittener und damit ebenfalls in etwa 80 Jahre alter Bombenkrater (rot markiert) im mehrfach bombardierten Wien-Favoriten. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Die zeitlich am ehesten das Kriegsende definierenden Ergebnisse unserer Grabungen umfassen weniger Einbauten, sondern bezeichnenderweise vielmehr Schutthorizonte. Sie entstanden, als man die Überreste der bei Luftangriffen beschädigten Gebäude entsorgte und geben die katastrophalen Zustände im Frühling 1945 in Wien wieder. Dementsprechend setzen sich diese Belege aus Baumaterial wie Ziegel, Beton oder zerbrochenem Fensterglas zusammen, aber auch aus Metallschrott und diversem Hausrat. Dazu gesellen sich häufig persönliche und mitunter für die zeitliche Zuordnung aussagekräftige Funde sowie Militaria, wie Munition und Waffen. Diese werden aus Sicherheitsgründen jedoch nicht von uns, sondern vom dafür zuständigen Entminungsdienst fachgerecht entnommen und weiter versorgt.

Ein am Karlsplatz im Kriegsschutt entdeckter Stahlhelm der Wehrmacht bei seiner Freilegung. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Die immer wieder anzutreffenden Horizonte aus Kriegsschutt finden sich häufig im Bereich größerer Flächen als Halden aufgeschüttet und einplaniert oder aber in verschiedenen muldenförmigen Strukturen zum Ausgleichen von Geländeunebenheiten eingebracht. Dazu zählen auch die durch Bombeneinschläge entstandenen Krater der letzten Kriegsmonate. Sie können aufgrund ihrer zeitlichen Stellung ebenfalls als charakteristisch für das Weltkriegsende im Wiener Boden betrachtet werden. Diese Planierungen erinnern sehr unmittelbar an die zerstörerische Kraft kriegerischer Auseinandersetzungen.

Die am Karlsplatz nach dem Kriegsende entsorgten Spendenbelege des Winterhilfswerks. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Eine außergewöhnliche Möglichkeit zur Dokumentation einer derartigen Halde stellte der Umbau des Wien Museums am Karlsplatz in Wien-Wieden dar. Hier verfüllte Kriegsschutt eine dem alten Museumsbau vorgelagerte und noch vor dem Zweiten Weltkrieg geschleifte Verkaufshalle aus den 1920er Jahren. Das Fundspektrum umfasste verschiedene Militaria – etwa einen Stahlhelm der Wehrmacht und den Rest einer Gasmaske oder einen noch in die österreichische Monarchie datierenden Revolver sowie Patronenhülsen. Außerdem konnten ein Hakenkreuz-Wimpel sowie Spendenbelege des Winterhilfswerks aufgedeckt werden. Die im Deutschen Reich im Zuge der nationalsozialistischen Propaganda bereits ab 1933 durchgeführten Sammlungen von Sach- und Geldspenden zur Unterstützung armer „Volksgenossen“ erfreute sich bald nach der Annektierung am 9. Oktober 1938 auch in der Ostmark großer Popularität. Die 25 Abzeichen in Form von Sammelfiguren, Anstecknadeln und Anhängern ließen sich 15 Serien zuordnen und setzen mit einem Thüringer Gauabzeichen aus dem Jahr 1933 ein. Während die meisten Stücke aus den Jahren 1940 und 1941 stammen, endet die Reihe mit zwei Porzellanfiguren der Serie Volksmärchen aus dem Jahr 1943. Da die Abzeichen nahe beieinander aufgedeckt wurden, ist anzunehmen, dass sie ursprünglich zusammengehörten und deshalb vielleicht bewusst entsorgt wurden.

Die jüngsten am Karlsplatz entdeckten Spendenbelege aus der Serie Volksmärchen: die Hexe aus dem Märchen Hänsel und Gretel und der Riese Rübezahl. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Auch in Wien-Margareten konnte am Bacherplatz im Zuge des U-Bahn-Ausbaus abgelagerter Schutt der damals im Umfeld beschädigten Gebäude dokumentiert werden. Hier erinnern zwei darin geborgene Gefallene zudem an die Bodenkämpfe Anfang April 1945. Reste der nicht regelrechten Uniformierung und ein Stahlhelm der Wehrmacht lassen vermuten, dass es sich um Angehörige des Volkssturms gehandelt haben könnte. Eine nähere Identifizierung war aufgrund fehlender Beigaben zwar nicht möglich, allerdings lassen ebenfalls geborgene Münzen auf Kontakte nach Italien oder Rumänien schließen.

Die nachdenklich zurücklassenden sterblichen Überreste eines der beiden am Bacherplatz geborgenen Gefallenen. (Foto: Stadtarchäologie Wien / archnet)

Ausblick

Der Wiener Boden ist heute immer noch von Bombenkratern, aber auch von Schutthorizonten geprägt, die vom Ende des Zweiten Weltkrieges und von der Zerstörung und Not rund um die letzten Kriegstage zeugen. Überreste von ab 1943 errichteten Luftschutzeinbauten in Wien weisen auf die seit Kriegsbeginn zunehmend beklemmende und bedrohliche Lage hin. Und auch ihnen werden wir uns hier demnächst widmen.

Mehr zu den Ausgrabungen am Karlsplatz und am Bacherplatz gibt es in Fundort Wien zu lesen:

  • Martin Mosser / Heike Krause / Severin Hohensinner / Ingeborg Gaisbauer / Constance Litschauer / Michael Wagreich / Christine Ranseder / Kinga Tarcsay, Unter dem Wien Museum – Archäologie, Flussmorphologie und Anthropozän am Karlsplatz. In: Fundort Wien 25, 2022, S. 4–61.
  • Constance Litschauer / Dimitrios Boulasikis / Ortrun Kögler, Wien 5, Bacherplatz. In: Fundort Wien 26, 2023, S. 238–245.