Autorin: Christine Ranseder
Im 16. Jahrhundert wurde die mittelalterliche Stadtmauer Wiens durch eine mächtige Befestigungsanlage ersetzt. Bis zu ihrem Abriss ab 1858 umschloss diese ungefähr das Gebiet des heutigen ersten Wiener Gemeindebezirkes wie eine Membran, die nur an einigen Stellen Durchlass gewährte. Wer durch die Stadttore ging und kam, welche Güter ein- und ausgeführt wurden sowie die Bezahlung einer etwaigen Maut, ließ sich leicht überwachen. Nachts waren die Tore geschlossen. Nachtschwärmer, die nach der Sperrstunde passieren wollten, mussten ab 1626 eine Gebühr entrichten. Tourismusexperten, Marketingstrategen und Immobilienspekulanten kämen vermutlich die Tränen, wenn sie sich die Möglichkeiten ausmalten, wie heute mit der alten Stadtbefestigung leichtes Geld zu verdienen wäre. Stellen Sie sich vor: Der erste Bezirk ein Erlebnispark für Touristen, natürlich nur gegen ein geschmalzenes Eintrittsgeld zu betreten! Oder wie wäre es mit einer „gated community“ für Superreiche und sogenannte Investoren? Tja, Pech gehabt! Die mächtigen Mauern sind längst Geschichte, freier Zugang für alle ist die Devise und wo früher Stadttore standen sind heute bestenfalls Überwachungskameras zu finden. Nirgends ist dies offensichtlicher als beim ehemaligen Stubentor, dessen spärliche Reste in eine U-Bahn Station integriert wurden.
Durch das Stubentor floss einst der Verkehr in den Osten, genauer gesagt von und nach Ungarn – dem wichtigsten Lieferanten von Rindern.
Für die Bäuche der rindfleischliebenden Wiener war es daher bereits im Mittelalter von besonderer Bedeutung. Schließlich war das Stubentor der verbindende Durchlass zwischen dem anfänglich am Ochsengries gelegenen Viehmarkt (heute Am Heumarkt, Wien 3) und den Fleischbänken am Lichtensteg, die 1564 in den Tiefen Graben verlegt wurden.
Der archäologische Nachweis dieses Abschnitts der mittelalterlichen und neuzeitlichen Befestigung gelang anlässlich einer Ausgrabung im Zuge der Errichtung der U3 am heutigen Dr.-Karl-Lueger-Platz.
Das mittelalterliche Stadttor
Der bereits im Mittelalter neben Widmer-, Schotten- und Kärntnertor zu den Haupttoren zählende Durchgang durch die babenbergische Stadtmauer wurde nach 1300 als Stubenburgtor, ab 1342 als Stubentor bezeichnet. Es handelte sich um einen reinen Torturm mit quadratischem Grundriss, an den die mittelalterliche Stadtmauer anschloss. Ein Teil seiner Fundamente konnte am Ausgang der Wollzeile freigelegt werden. Auch Reste der Schotterung der ehemaligen Toreinfahrt wurden dokumentiert. Heute ist das mittelalterliche Tor gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden. Nur der im Straßenpflaster markierte Grundriss erinnert an seinen einstigen Standort.
Das neuzeitliche Stubentor und die Kurtine
Schriftliche Quellen belegen, dass Stadttor und -mauer des Mittelalters kurz nach der Mitte des 16. Jahrhunderts abgerissen und durch eine neue Toranlage ersetzt wurden. Da die stadtseitige Mauer und die Eskarpe (die innere Futtermauer des Grabens) der neu errichteten Kurtine nicht parallel zueinander verliefen, wies die Torhalle einen Knick auf. Äußeres und inneres Tor standen daher nicht in einer Flucht.
Das Aussehen des Stubentores wurde mehrfach verändert und an den jeweiligen Zeitgeschmack angepasst. Zu Beginn der 30er-Jahre des 19. Jahrhunderts erfuhr das Stubentor eine grundlegende Umgestaltung. Es erhielt rechts und links der Einfahrt je einen Durchgang für Fußgänger, die Fassaden wurden in klassizistischem Stil gestaltet. Dieser Zustand ist auch noch auf den Fotos, die kurz vor dem Abriss der Befestigung aufgenommen wurden, zu sehen. Der Verlauf der nun auf 3,70 m verbreiterten Torhalle wurde begradigt, die Seitenwände durch Nischen gegliedert. Wenn Sie auf Ihrem Stadtspaziergang an der Kreuzung Wollzeile/Stubenbastei stehen bleiben, blicken Sie zu Boden: Der Grundriss der Torhalle wurde nach Abschluss der Bauarbeiten für die U3-Station im Straßenpflaster verewigt.
Nicht nur Bauteile des Stubentores sondern auch der Kurtine, also des gerade verlaufenden Walls zwischen Dominikaner- und Braunbastion, sowie zwei Brückenpfeiler kamen bei den Bauarbeiten für die U3-Station zutage. Dokumentiert werden konnte ein Abschnitt der Eskarpe, also der Mauer mit der die Grabenböschung verkleidet war. Ihre Stärke betrug an der Basis beachtliche 4,80 Meter. Die Konstruktion erwies sich als äußerst komplex. Holzpiloten trugen einen Lattenrost aus Eichenbohlen auf dem mehrere Schichten großer Steinquader aufsaßen. An der dem Graben zugewandten Seite besaß die Eskarpe eine Schale aus Ziegelmauerwerk, wallseitig eine Mauer aus Bruchsteinen. Dazwischen wurden, getrennt von Schieferplatten, mehrere Lagen aus Bruchsteinen und Mörtel eingebacht.