Autorin: Christine Ranseder
Der Sommer neigt sich dem Ende zu, die Urlaubssaison auch, und ich hege die Hoffnung, dass damit auch die vielen Baustellen wieder aus dem Stadtbild verschwinden. Nicht jedes Loch im Asphalt, so notwendig es für den Erhalt der Infrastruktur auch sein mag, lässt die Herzen von ArchäologInnen höher schlagen. Und gestehen wir es uns ein: Nur wenige davon geben so viel Geschichte preis, wie der am Michaelerplatz dauerhaft offen gehaltene Schnitt in Wiens Boden. Schließlich wurden hier ein Teil der während der Grabungen 1991 freigelegten Mauerreste in die Platzgestaltung miteinbezogen. Doch was gibt es tatsächlich noch zu sehen? Begleiten Sie mich auf eine kurze Zeitreise.
Aller Anfang ist … römisch
Nicht jeder Platz wird von Beginn an als solcher geplant. Der Michaelerplatz, heute eine Zierde im Wiener Stadtbild, war bis ins 18. Jahrhundert lediglich eine Straßenkreuzung, die auf eine lange Geschichte zurückblicken konnte. Als die Römer am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. Legionslager und Lagervorstadt (canabae legionis) errichteten, legten sie Wert auf die Anbindung an ein gut ausgebautes Straßennetz. Vor dem südlichen Lagertor kreuzten die Limesstraße und eine Straße, die von der porta decumana des Legionslagers nach neuestem Forschungsstand nicht nach Scarbantia (Sopron) sondern nach Aelium Cetium (St. Pölten) führte.
Im Zuge der Ausgrabung am Michaelerplatz konnten mehrere Phasen der Verbauung an dieser Straßenkreuzung in der Lagervorstadt freigelegt werden. Unter anderem gelang der Nachweis von Wohnhäusern und einer Eisenschmiede. Die Mauern der Werkstatt und des zugehörigen Hofes sowie zwei weitere Bauten sind wieder unter dem Straßenpflaster verschwunden. Von einem der Wohnhäuser können Sie jedoch noch einige Mauern der ersten Bauphase (zwischen 140 und 280/300? n. Chr.) sehen. Die Fundamente des langrechteckigen Gebäudes bestanden aus Stein, sein Inneres wurde von einer schmäleren Mauer unterteilt. An der zur Limesstraße hin orientierten Schmalseite des Hauses, befand sich eine überdachte Vorhalle, die als Verkaufslokal genutzt werden konnte. Die Wände des Hauses waren verputzt und mit Wandmalereien verziert.
Alles andere bleibt, fürchte ich, Ihrer Fantasie überlassen. Abgesehen von den steinernen Fundamenten wird das Haus möglicherweise in Fachwerk- oder Rutenbauweise errichtet worden sein. Es blieb allerdings nichts davon erhalten. Auf eine behagliche Ausstattung lassen die geborgenen Funde schließen, unter denen sich Dachziegel, Ziegel einer Fußbodenheizung und Estrichreste befanden. Sogar Glas von Fensterscheiben wurde gefunden.
Spärliche Nachweise der mittelalterlichen Bebauung
Nach dem Rückzug der römischen Bevölkerung in der Spätantike verfielen die Häuser. Die Grundstücke um die Straßenkreuzung waren offenbar jahrhundertelang nicht besiedelt. Durch die Stadterweiterung ab zirka 1200 wurde dieses Gebiet jedoch schließlich in die mittelalterliche Stadt integriert. Die beiden alten römischen Straßenverläufe erwiesen sich als bestimmend für die weitere Entwicklung. So folgte dem Verlauf der Limesstraße die 1216 erwähnte Hochstraße. Auf dem Stadtplan des Bonifacius Wolmuet aus dem Jahr 1547 heißt sie bereits Herrengasse.
Die in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtete Michaelerkirche war lange das markanteste Bauwerk an der Straßenkreuzung. Rund um die Kirche lag ein von einer Mauer umgebener Friedhof, der im 16. Jahrhundert aufgelassen wurde. Östlich davon, Richtung Herrengasse, standen Privathäuser. Ein archäologischer Nachweis gelang jedoch erst für die spätmittelalterliche Verbauung. Einige Mauerreste, Brunnen, eine große Grube und ein Entsorgungsschacht haben sich im Bereich der neuzeitlichen Keller der ehemaligen „Stöckl“-Häuser erhalten. Sehen können Sie heute davon nichts mehr. Aber wenn Sie sich vor Ort gedanklich in das Mittelalter versetzen wollen, schließen sie die Augen und atmen tief ein.
Die Häuser südlich der Michaelerkirche wurden bereits in den 1470er Jahren abgerissen, weil Kaiser Friedrich III. den Lustgarten der Hofburg erweitern ließ. Der an der Straßenkreuzung gelegene Bereich des oberen Lustgartens erhielt die Bezeichnung Paradeisgartel. Seine mächtige Fundamentmauer aus kleinteiligem Bruchsteinmaterial mit vereinzelten quaderartigen Steinen und kleinflächigen Ziegelverbänden wurde von zirka 1480 bis 1540 errichtet. Das auf alten Ansichten dargestellte runde Ecktürmchen ließ sich archäologisch nicht nachweisen. Im Fundamentbereich war die Mauerecke spitzwinkelig ausgeführt worden. Das Paradeisgartel bestand bis in das Jahr 1729, doch mehr zum neuzeitlichen Baugeschehen im nächsten Blog.