Was vom Menschen bleibt – „Abdrücke“ aus römischer Zeit

Autorin: Rita Chinelli

Die Archäologie beschäftigt sich mit den Hinterlassenschaften der Menschen vergangener Zeiten. In der Regel sind dies Bauten, Gräber, Objekte und Gegenstände des täglichen und des besonderen Bedarfs oder auch einfach Erdschichten, die von menschlichen Aktivitäten herrühren. Immer wieder finden sich aber auch direktere Zeugnisse von Personen, und zwar in Form von Finger- und Fußabdrücken. Werfen wir einen Blick in die Zeit der Römer in Vindobona.

Fingerabdrücke

Am ehesten fündig wird man bei Artefakten, die manuell hergestellt wurden, und hier naturgemäß bei aus Ton gefertigten Produkten, die beim „Handanlegen“ noch nicht ganz ausgehärtet waren. Diese Spuren wurden in der Regel vermieden, da ein makelloses Stück zu besseren Konditionen weitergegeben werden konnte. Aber dies gelang nicht immer.

Auf der Bodeninnenseite einer Schale aus der Zivilsiedlung von Vindobona sind etwa die Abdrücke mehrerer Finger zu sehen.

Bodenfragment einer Schale aus der Grabung Wien 3, Rennweg 52. Links die Unterseite des Bodens mit Drehscheibenspuren und die Bodeninnseite mit Fingerabdrücken. Rechts die Bodeninnenseite mit der rekonstruierten Fingerstellung. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Nikolaos Piperakis)

Vielleicht wollte der Töpfer so das Innere des noch nicht gebrannten Gefäßes glätten, was ihm offensichtlich nicht ganz gelungen ist.

Bei geschlossenen Formen, wie beispielweise Krügen, spielte das eher keine Rolle, denn diese Unregelmäßigkeiten waren von außen nicht zu sehen und hatten daher keinen Einfluss auf den Verkaufswert des Produkts.

Im lederharten Zustand wurden die Kruginnenseiten mit den Fingerspitzen nachbearbeitet, wie die Abdrücke zeigen. Die beiden abgebildeten fragmentierten Krüge stammen von der Grabung Wien 3, Rennweg 44. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Nikolaos Piperakis)

Archäometrische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Tonrohstoffe bei diesen Krügen lokal gewonnen wurden, daher gehören die Fingerspuren einem Töpfer, der in Vindobona tätig war.

 Ähnliches gilt für Fingerabdrücke auf einem Tonmodel, der in Wien 3, Rennweg 64 gefunden wurde. Da die Figurendarstellung vom Finger des Töpfers beschädigt wurde, handelt es sich um ein fehlerhaftes Produkt. Dies ist ebenso ein deutlicher Hinweis für einen Herstellungsprozess vor Ort.

Fehlerhafter lokal hergestellter Tonmodel (Matrize) mit der unvollständigen Darstellung einer Figur aus der Verfüllung einer Töpferofenanlage in Wien 3, Rennweg 64. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Weitere Fingerspuren wurden am Rennweg 52 auf Tonbruchstücken gefunden.

Fingerspur auf einem Tonbruchstück vom Rennweg 52. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Sehr oft hinterlassen Töpfer ihre Fingerspuren auf dem lederharten Ton neben einem Keramikstempel, wie zum Beispiel auf folgender Reibschüssel. Die Zuhilfenahme des Fingers ist nämlich notwendig, um die Leiste festzuhalten, während er den Stempel aufdrückt. In diesem Fall ist uns durch die Stempelung sogar der Name des Töpfers, Latinus, und seine Werkstätte bzw. sein Auftraggeber bekannt, die 14. Legion.

Links: Gestempelte Reibschüssel aus der Grabung Wien 3, Rennweg 52. Rechts: Detail mit der Stempelung LATINVS FE / FEC und einem Fingerabdruck. (Foto links: Stadtarchäologie Wien/Nikolaos Piperakis; Foto rechts: Reinhold Wedenig)

Bei ausreichend vorhandenen Fingerabdrücken aus Werkstattkontexten könnte man sogar Vergleiche anstellen und herausfinden, ob gewisse Arbeitsschritte immer von derselben Person oder von mehreren Arbeitern durchgeführt wurden, also Hinweise auf die Organisation der Keramik- und Ziegelproduktion erlangen.

Durch Fingerabdruckanalysen (Daktyloskopie), etwa durch die Messung der Kammbreite des Abdrucks, lässt sich unter gewissen Voraussetzungen erschließen, ob es sich um ein Kind, eine/n Jugendliche/n oder um eine erwachsene Person gehandelt hat, im besten Fall wären auch Rückschlüsse auf das Geschlecht oder auf die ethnische Gruppe möglich.

Fußabdrücke

Aber nun zu den Fußabdrücken: Eine Besonderheit sind sicherlich die Fußspuren, die sich im etwas weicheren Löss einer Grabensohle erhalten haben. Diese wurden bei der Grabung in Wien 1, Am Hof 10, also im Bereich des römischen Legionslagers dokumentiert.

Fußabdrücke im Löss einer Grabensohle der Grabung Wien 1, Am Hof 10. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Leider sind die Schuhabdrücke nicht im Detail zu erkennen waren, was auch die damals angefertigten Gipsabdrücke zeigen. Die Größe der Füße ist nicht rekonstruierbar, da der lössige Untergrund zur Entstehungszeit offenbar matschig war und so keine klaren Konturen entstanden sind.

Ein deutlicher Fußabdruck ist hingegen auf einem kürzlich entdeckten Ziegel zu finden. Dieses aus dem Randbereich der römischen Legionsziegelei stammende Stück zeigt auch einen derzeit kaum lesbaren Stempel (LEG…) in Form einer tabula ansata, also einer Tafel mit Handhaben. Dieser könnte Auskunft über die produzierende und in Vindobona stationierte Legion geben und somit eine relativ genaue Datierung des Fußabdrucks. Aber eines ist sicher: Die Person, die sich hier verewigt hat, musste in etwa die Schuhgröße 43 gehabt haben.

Gestempelter Ziegel mit Fußabdruck aus der Grabung Wien 17, Kindermanngasse 1–3. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Nikolaos Piperakis)

Ein nicht ganz so persönlicher Abdruck findet sich auf einem weiteren Ziegel aus Hernals. Auf diesem von der legio XIV Gemina Martia Victrix gestempelten Exemplar hat sich der Abdruck eines Teils einer genagelten Fußbekleidung erhalten.

Die Nagelreihen ermöglichen in der Regel Rückschlüsse auf die Sohlenform und somit auf die typologische Einordnung der Schuhe. Leider ist in diesem Fall die Reihung zu undeutlich erhalten.

Fragment eines Ziegels mit Stempel der 14. Legion und den Abdrücken von Schuhnägeln aus der Grabung Wien 17, Steinergasse 16. (Foto: Mario Mosser)

Die Position der Nägel auf den römischen Sohlen ist allgemein vielfältig, auch dekorative Anordnungen sind zu finden. Die Schuhtypen und die Art der Benagelung können auch zur Datierung beitragen, bei dem vorliegenden Ziegel hilft uns jedoch der Legionsstempel entscheidend weiter: Die 14. Legion war von 101 bis 114 n. Chr. in Vindobona stationiert.

Bei kaum einer anderen Fundkategorie – sieht man einmal vom menschlichen Skelett ab – bewahrheitet sich ein Zitat des bekannten britischen Archäologen Sir Mortimer Wheeler (1890–1976) mehr: „… the archaeological excavator is not digging up things, he is digging up people.“