Autorin: Christine Ranseder
Bei der Durchsicht der Beigaben aus den am St.-Bartholomäus-Platz in Hernals freigelegten Gräbern stieß ich auf einige Nestelhülsen. Sie sind die Reste von einfachen Verschlüssen. Mit diesen schmalen zugespitzten Röhrchen aus Blech wurden ab dem 12. Jahrhundert die Enden von textilen Schnüren oder dünnen Lederriemen verstärkt. So konnten diese leichter durch Ösen gefädelt werden. Die metallenen Spitzen der Nesteln waren jedoch nicht nur funktional, sie spielten auch eine Rolle als dezenter Schmuck.
An Bedeutung gewannen die Nestelhülsen ab dem 14. Jahrhundert. Das Gewand beider Geschlechter wurde nun körperbetonter geschnitten. Um es anlegen und an die Körperform anpassen zu können, benötigte man Verschlüsse und Schnürungen. Zur selben Zeit schlugen Frauen- und Männerkleidung in ihrer Entwicklung unterschiedliche Wege ein. Die Kleider der Frauen erhielten eng anliegende Oberteile mit tiefen Ausschnitten, die Röcke blieben weit. Erst im 16. Jahrhundert vollzog sich schließlich die Trennung in Rock und Mieder. Männer hingegen hatten ein Problem: Ihre vorne mit einem durchgehenden Verschluss versehenen Jacken wurden immer kürzer. Um sich keine Blöße zu geben, mussten die Beinlinge verlängert und zunächst an einem unter der Jacke getragenen Band, später am Wams selbst, befestigt werden. Als Verschlüsse, bzw. zur Verbindung von Beinkleid und Jacke dienten zunächst mit metallenen Spitzen versehene Schnüre, die Nesteln. Die Ösen waren in den Stoff gestochene und umnähte Löcher.
Nesteln wurden eingesetzt um Jacken und Hemden zu verschließen, Ärmel zu befestigen oder enger an den Arm anzupassen, Hosen festzubinden und Mieder zu schnüren. Wie vielseitig ihre Verwendung war, zeigen Darstellungen auf zwei Tafeln (Geißelung und Kreuzigung) der Karlsruher Passion, die von einem um 1450 entstandenen Altar stammen.
Als im 16./17. Jahrhundert die Hosen der Männer kürzer und weiter wurden, versah man den unteren Abschluss am Knie mit Nesteln oder Bändern. In einem am St.-Bartholomäus-Platz aufgedeckten Grab wurden drei Nestelhülsen bei den Unterschenkelknochen eines Bestatteten aufgefunden. Ich vermute, dass sie einst an den Enden von Nesteln angebracht waren, die an einer solchen Hose als Verschluss am Knie dienten.
Ernsthafte Konkurrenten der Nesteln waren die Hafteln. Besonders deutlich wird dies bei den Hosen. Mit der Zeit wurden aus den Schnüren zu Schleifen gebundene Bänder mit Nestelhülsen. Ein schönes Beispiel dafür ist das 1617 datierte, Salomon Mesdach zugeschriebene, Porträt des Peter Courten.
Ab den 1620er-Jahren wurden die Hosen nicht mehr mit Nesteln am Wams festgebunden sondern mit Hafteln angehakt. Damit verloren die mit Nestelhülsen versehenen Bandschleifen ihre Funktion, sie waren – bis zu ihrem endgültigen Verschwinden – nur noch Zier. Gut zu sehen ist das an der Oberbekleidung des Mannes in einem Doppelporträt eines verheirateten Paares von Pieter Codde aus dem Jahr 1634.
In der Damenmode überlebten die Nestelhülsen an der Schnürung des Korsetts. Noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden sie in „Tailleur d´habits et tailleur de corps“, das Teil von Denis Diderots „Encyclopédie, …“ ist, abgebildet.
Und heute? Nur eine farblose Versteifung aus Plastik an den Enden von Schnürsenkeln erinnert noch an die einst prächtigen Nestelhülsen.