Das Tier ohne Hinterteil

Autorin: Christine Ranseder

Als wir das Fragment eines kleinen tönernen Tierchens in einem Fundsackerl entdeckten, waren wir uns einig: Das putzige Kerlchen sieht wie ein Seehund aus, der gerade „Örf“ sagt, um einen Fisch zu erbetteln. Das kann natürlich nicht sein, denn im Mittelalter waren Seehunde in Wien unbekannt. Es dürfte sich also um ein vertrauteres Tier handeln. Raten Sie mit!

Naheliegend wäre „See“ wegzulassen und die kleine Figur als Hund zu deuten, der freudig ein Leckerli erwartet.

Das knapp unter 6 cm hohe Tierfigürchen ist ockerfarben glasiert und wurde 1996 am Judenplatz gefunden. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Oder hatte der Töpfer versucht – mit mehr Fantasie als Können – ein Pferd zu formen? Allerdings ein verdammt kurzbeiniges. Lange Beine waren aber gar nicht von Nöten, denn das Figürchen ließ sich auf ein dünnes Holzstäbchen aufstecken. Das dazu dienende tiefe Loch wurde durch den Verlust des Hinterteils hervorragend sichtbar.

In der Regel werden derartige Kleinplastiken als Spielzeug angesehen, die in den Töpfereien als Nebenprodukt hergestellt wurden. Aufgrund der zahlreichen Funde lässt sich der Schluss ziehen, dass Reiterfigürchen besonders beliebt waren. Pferd und Reiter bildeten entweder eine Einheit oder der kleine Ritter konnte auf den Rücken seines Rosses gesetzt werden. Manchmal hatten die armen Tiere sogar ein Loch in der Brust um eine „Lanze“ einstecken zu können. Kopflose Exemplare sind bereits mehrmals in Fundmaterial der Stadtarchäologie aufgetaucht, mehr können Sie hier lesen. Im Mittelalter träumten Kinder eben davon Ritter zu werden und nicht Indianer.