Autorin: Constance Litschauer
Man mag ja zu Befestigungsmauern aus den verschiedensten Gründen stehen wie man will – sieht man einmal davon ab, dass noch keine dauerhaft gehalten hätte, was sie versprochen hat! Aus archäologischer Sicht ist es aber doch jedes Mal wieder aufsehenerregend, ein solches Relikt in seiner ganzen Mächtigkeit vor sich zu haben. Eine Baustelle in der Werdertorgasse bietet uns aktuell die Möglichkeit wieder einmal einen Blick auf einen Abschnitt der frühneuzeitlichen Festungsmauer Wiens zu werfen – und auch auf einige andere Überraschungen!
Angesichts der Adresse mögen es Viele bereits ahnen: wir befinden uns im Bereich der ab 1858 demolierten Neutorbastion. Ein Teil von ihr konnte bereits im Jahr 2008 von der Stadtarchäologie Wien auf den benachbarten Parzellen Neutorgasse 4–8 archäologisch und bauhistorisch untersucht werden – inklusive abschließender Publikation versteht sich!
Die gleichzeitige Errichtung des mit der Elendbastei im Bereich des heutigen Rudolfs- und Morzinplatz sowie Teilen der Gonzagagasse gelegenen Mauerabschnitts geht auf das 16. Jahrhundert zurück. Ein Konzept des Hofkriegsrats aus dem Jahr 1558, ein Reisebericht vom August 1560 sowie die für das Jahr 1568 überlieferte Anbringung des Kordongesimses grenzen die Erbauung entsprechend ein. Die Bastion diente der Sicherung des ebenfalls neu errichteten Neutors, des Schiffsarsenals sowie gemeinsam mit der sogenannten Piatta forma der Sicherung des stadtseitigen Donauufers. Damit war auch für uns die Überraschung nicht allzu groß, als Reste der westlichen Frontseite bzw. Face innerhalb des Bastionskörpers inklusiver dreier Strebepfeiler in massiver Bauweise zu Tage kamen. Charakteristisch: die Mauerschale aus lagigen quaderförmigen Steinen in Mörtelbettung und Gusskern.
Als kleine Abwechslung ergänzten Straßenschotterungen den Baubefund. Auch ohne noch ausstehende Bearbeitung der Funde handelt es sich bei den angetroffenen Schotterlagen offenbar um einen kleinen Ausschnitt einer Straße, die vermutlich der Logistik der sicherlich großen Baustelle des 16. Jahrhunderts diente.
Zur großen Freude der AusgräberInnen deckten die renaissancezeitlichen Befunde aber auch Älteres ab! Dazu fehlt hier allerdings noch ein kleiner Abstecher in die Geologie und Topographie der näheren Umgebung. Die Bauparzelle liegt nämlich in einer Talsohle der rezenten Donau, bzw. nördlich der immer noch im Stadtbild markanten Abbruchkante der risszeitlichen Donauschotterterasse. Auf ihr stand nicht nur das römerzeitliche Legionslager von Vindobona, sondern es setzten hier auch die ersten mittelalterlichen Siedlungstätigkeiten Wiens ein. Das Plateau bildete dabei die westliche Grenze zur rezenten unregulierten Donau mit ihrer Aulandschaft in Form von Flussarmen und Inseln. Diesem Umstand sind auch am Grabungsgelände Schwemmschichten bzw. Schichten, die zumindest zeitweise unter Wasser lagen, zuzuordnen. Sie zeichneten sich durch einen Wechsel von Schichten aus geologischem Material und fundreichen Lagen dazwischen aus. Letztere beinhalten eine nicht unbeträchtliche Menge an Keramik- und Knochenfunden sowie auffallend viele Metall- und Lederfunde, von denen sicher noch einige hier vorgestellt werden. Aber auch der Name der bis zur Erbauung der Neutor- und der benachbarten Elendbastion auf dem Gebiet des heutigen Schottenrings und der Rossau gelegenen Vorstadt im Oberen Werd erinnert an die unregulierte Donau, da der Begriff Werd bzw. Wert oder auch Werth auf das mittelhochdeutsche Wort für Insel zurückgeht.
Erste Erwähnungen der Ansiedlung hängen mit der Gründung des Klosters der Augustiner-Eremiten vor 1266 zusammen, wobei schriftliche Quellen zu Grund- und Besitzverhältnisse im 14. und 15. Jahrhundert zunehmen. Sie zeigen, dass die Vorstadt im Oberen Werd vor allem Handwerkern Heimat bot. Neben Fischern handelte es sich sehr häufig um Lederer, Kürschner und Schuster, die vermutlich nicht unschuldig an der Flut an Lederfunden – darunter auch Schuhreste – waren. Dabei kam den Bewohnern des Oberen Werds im Zusammenhang mit der Flussnähe zugute, dass sich durch die stetige Verlandung des stadtnahen Donauarmes der allerdings hochwassergefährdete Siedlungsraum sukzessive vergrößerte. Die fundreichen Lagen deuten hier außerdem auf einen weiteren Vorteil der Flussnähe hin, da er offenbar auch der Müllentsorgung diente.
In die mittelalterliche Nutzungsperiode ist schließlich auch die aufgedeckte Uferbefestigung zu stellen, die sich durch einen für Wien sensationell guten Erhaltungszustandes ihrer nicht wenigen Holzbestandteile auszeichnete. Eine geböschte Anschüttung aus Bruchsteinen stützte eine Holzkonstruktion aus Pfosten und Querbalken. Im Uferbau gerne verwendete Faschinen, also Reisig- bzw. Rutenbündel ergänzen den Befund im nordwestlichen Bereich und stellen vielleicht die Begrenzung eines kleinen Abgangs dar.
Wann genau die Befestigung errichtet wurde und wie genau sie zu rekonstruieren ist, muss – wie vieles andere – derzeit allerdings noch offen bleiben, da die Arbeiten vor Ort und die Auswertung der Funde und Befunde noch nicht beendet sind. Und die Flut an neuen Erkenntnissen reißt derzeit noch nicht ab.