Wer reitet da durch Nacht und Wind?

Autorin: Christine Ranseder

Nun, es ist nicht der Vater mit seinem Kind. Ein Zusammenhang mit der Kindheit besteht jedoch bei unserem Fund aus einer Kellerverfüllung am Frankhplatz (Wien 9). Es handelt sich bei dem Fragment einer kleinen Figur aus Ton um Spielzeug, das auf ein Stöckchen gesteckt werden konnte – und schon galoppierte das Pferd davon. Doch von welchem Beruf träumte das spielende Kind?

Kleine plastische Darstellungen von Pferd und Reiter sind bereits aus dem Mittelalter bekannt. Zumeist handelt es sich bei ihnen um Ritter beim Lanzenstechen.
Unser neuer Fund ist hingegen weitaus jünger, wie die Kleidung des Reiters verrät, und das Männlein trainiert auch nicht für den Krieg. Die Darstellung ist allerdings, dem Medium Ton und der geringen Größe geschuldet, so stark vereinfacht, dass sie für Zeitgenoss:innen sicher leicht lesbar war, heutigen Archäolog:innen aber einiges an Interpretationsspielraum lässt.

Das am Frankhplatz gefundene Figürchen ist solide gearbeitet − also nicht hohl, wie ein Pfeifchen zum Musizieren. Die üppige, gelockte Haarpracht des Herren reicht etwas über die Schulter. Die Hinterbeine des Pferdes sind nach hinten gerichtet, wie im Galopp oder Sprung. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Der Fund lässt sich durch die Kleidung des Reiters gut datieren. Sein langer, geschlossen getragener Männerrock ist weit ausgestellt und reicht bis zu einem Wulst, der sowohl als voluminöse, kurze Pumphose als auch als Stulpe eines Reiterstiefels gesehen werden kann. Sollte es sich um eine Hose handeln, dann entspricht das Obergewand einem Trend im dritten Drittel des 17. Jahrhunderts, der sich in der Männerkleidung aller Gesellschaftsschichten abzeichnete.

Die Grundbestandteile – kurze Pumphose und langer Rock – gleichen sich bei wohlhabendem Herrn (ca. 1678) und Orangenverkäufer (nach 1674). Zwei Kupferstiche aus „Recueil des modes de la cour de France“, Los Angeles County Museum of Art (LACMA).

Standesunterschiede fanden ihren Ausdruck in der Qualität des Tuchs und der Accessoires. Die am Frankhplatz gefundene Reiterfigur ist rein funktional gekleidet, sie trägt weder ein Jabot, noch ist das Hemd zu sehen. Nur die Knopflöcher scheinen durch Stickerei oder durch eine Borte horizontal betont zu sein – eine Verzierungsart, die an Männerröcken auch noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu finden ist. Gegen die Darstellung eines schweren Reiterstiefels mit Stulpe sprechen einerseits die wohlgeformten Waden des Reiters, andererseits das Fehlen des für die Stiefelstulpen üblichen Schlitzes in der Kniekehle.

Auffällig sind zwei sich kreuzende Riemen, die der Reiter über die Schultern geschlungen hat. An einem hängt eine Tasche, am anderen ein schwer zu deutendes Objekt mit Griff. Letzteres erinnert in seiner Form an ein heutiges Milchpackerl bzw. an ein altes Bügeleisen. Wollte der Töpfer eine weitere Tasche oder ein Post-/Jagdhorn wiedergeben?

An der linken Hüfte trägt der Reiter eine Tasche. An der rechten Hüfte hängt am Riemen ein schwer zu deutendes Objekt. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Und damit sind wir auch schon beim mehr oder weniger heiteren Berufe raten und der Frage nach den Rollenbildern, die Knaben in der frühen Neuzeit als Vorbilder dienen konnten. Sollte es sich bei dem plastischen Spielzeug um einen Adeligen auf der Jagd oder einen Soldaten handeln? Hinweise auf eine Waffe haben sich nicht erhalten. Oder haben wir einen Postreiter vor uns, der in seiner Tasche Briefe transportierte, weil er ohne einem hinter dem Sattel liegenden Felleisen unterwegs war? Vielleicht sollte es aber auch nur ein wohlhabender Herr sein, der einen Ausritt genießt.

Das Pferd hatte es auf alle Fälle eilig, denn seine Hinterläufe waren − der Position der Bruchstellen nach zu urteilen − zum Sprung ausgerichtet. Galoppierten Ross und Reiter gar die am Fundort vorbeiführende Alser Straße entlang?