Autorin: Ingeborg Gaisbauer
Während meines Studiums, also vor mittlerweile viel zu vielen Jahren, hatte Keramik des 11. Jahrhunderts in Wien eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Ungeheuer von Loch Ness: Alle paar Jahre kam es im Sommer zu einer unbestätigten Sichtung.
Begutachtete man die Scherben dann, waren sie meist jünger oder − sehr selten – älter. Eine konkrete Vorstellung, wo im 1. Bezirk sich das 11. Jahrhundert verbergen könnte, wollte sich einfach nicht einfinden. Aber siehe da: Die letzten Jahre brachten hier eine Wende und die derzeitige Künette in der Tuchlauben könnte die Situation noch einmal sprunghaft verbessern! Ein guter Grund, einen raschen vorbereitenden Blick auf die Problematik der Funde und Befunde des 11. Jahrhunderts in Wien zu werfen.
Material, Form und Technik
Ganz grundlegend gefragt: Wie soll sie denn beschaffen sein, wie aussehen, diese Keramik?
Zu erwarten wäre graphit- oder vielleicht auch glimmergemagerter Ton, einfach ausbiegende Ränder, die noch nicht umgeklappt (Kragenrand) oder umgebogen (Kremprand) sind, sondern bestenfalls ein wenig verdickt oder bei der Herstellung schlicht abgestrichen. Im Gegensatz zum 9./10. Jahrhundert sollten diese Stücke mehrheitlich zumindest „nachgedreht“ sein, soll heißen: Das Gefäß wird von Hand aufgebaut und auf einer drehbaren Unterlage nachgearbeitet. Dabei handelt es sich noch nicht um eine fußbetriebene schnelldrehende Töpferscheibe. Generell überwiegen Töpfe, es gibt aber auch einfache Schüsseln, Pfannen und Beleuchtungsgeräte. Verziert wird gerne mit umlaufenden Wellenlinien, manchmal gibt es auch plastische Leisten auf Bauch oder Schulter.
Relevanz für die Siedlungsentwicklung
Der Umstand, dass Keramik aus dem 10. Jahrhundert und aus dem 12. Jahrhundert vorliegt, könnte einen dazu verleiten, Keramik aus dem 11. Jahrhundert einfach vorauszusetzen. Das mag verlockend sein, ist aber nicht zwingend richtig. Es gibt in Besiedlungsabläufen immer wieder einmal Sprünge und Umorientierungen, gelegentlich auch Unterbrechungen, sehr theoretisch hätte also im 11. Jahrhundert auch hierorts Pause sein können.
Ein Wiener Stadthistoriker mit Schwerpunkt Kirchenentwicklung würde jetzt entsetzt gestikulieren und auf einen höchst wesentlichen Punkt hinweisen: Damit die Kirche St. Peter im Mauterner Tauschvertrag 1137 genannt werden kann, sollte sie zu Anfang des 12. Jahrhundert schon bestanden haben, es wären also dringend weitere und vor allem auch banal weltliche Lebenszeichen aus ihrem Umfeld gefragt.
Die Ergebnisse der letzten Jahre favorisieren tatsächlich bis zu einem gewissen Grad St. Peter und – grob gesprochen – die Ostseite des ehemaligen Legionslagers. So kam 1983 beim Abbruch des Hauses Wildpretmarkt 8 nicht nur spätantikes Fundmaterial, sondern auch – leider vollkommen unbefundet – Keramik des späten 11. und frühen 12. Jahrhunderts zutage.
Etwas besser war die Situation bezüglich der Schichtzuordnung ein paar Jahre später, zwischen 1994 und 1995, als im Haus Tuchlauben 17, und somit ganz nahe an den derzeitigen Künettenarbeiten, nicht nur eine Phase des 12. Jahrhunderts, sondern auch spärliche Reste noch früherer mittelalterlicher Befunde, spätes 11./1. Hälfte 12. Jahrhundert, dokumentiert werden konnten. Das Problem in diesem Fall war nicht der Mangel an Keramik aus dem 11. Jahrhundert, sondern, dass diese frühen mittelalterlichen Befunde bereits im entwickelten Hochmittelalter durch Baugeschehen empfindlich gestört und die Keramik verlagert worden war. Dasselbe Problem zeichnete sich 2017 bei Arbeiten im Haus Bauernmarkt 1 ab. Wieder konnte Keramik des 11. Jahrhunderts, nur umgelagert in jüngere Schichten, geborgen werden.
Zu einem Zeitpunkt, da Befunde aus besagtem Jahrhundert also immer noch Mangelware darstellten, hatte die Stadtarchäologie zwei Mal das Glück, auf „Gold“ zu stoßen. Im Sommer 2016 wurde vor den Häusern Fleischmarkt 4–6, Bauernmarkt 19–21 und Fischhof 1A–2 eine Fernwärmeleitung verlegt und im Rahmen dieser Arbeiten, im Bereich des Fischhofs, auch eine Grube (Befund 38) ergraben, aus der ein gut erhaltenes Topffragment des 11. Jahrhunderts stammt (siehe erste Abbildung, Nr. 50) – nebst einigen Streufunden mit derselben Datierung aus dem nahen Umfeld (siehe erste Abbildung, 53−55).
Eine zweite Grube, wiederum mit eindeutig datierender Keramik, wurde 2019 bei Arbeiten in der Rotenturmstraße im Bereich Lugeck, also nicht sehr weit vom Fischhof entfernt, entdeckt.
Die Chancen stehen gut, dass beide Befunde Zeitgenossen des Baus der Kirche von St. Peter gewesen sein könnten – welch eine Ehre für simple Gruben!
Was jetzt noch zu unserer Glückseligkeit fehlt, sind Befunde, die sich mit Bauten, Wegen, Gestaltungsmaßnahmen aller Art in Verbindung bringen lassen, um besser nachvollziehen zu können, nicht nur in welchem Bereich es sich abgespielt hat, sondern auch was sich dort getan haben könnte.
Und genau hier kommen unsere neuesten Grabungsergebnisse ins Spiel. Eine erste Fundsichtung zeigt kleine, aber rein dem 11. Jahrhundert zugehörige Fundkomplexe, offenbar aus unterschiedlichen Planierschichten. Sollten in den nächsten Wochen keine Störungen das freudige Szenario ruinieren, könnte es sich hier tatsächlich um die erste Oberfläche der späteren Tuchlauben handeln – lange vor Straße und Straßenbefestigung wohlgemerkt.
Wir werden Sie in jedem Fall auf dem Laufenden halten und Ihnen von diesen Funden und Befunden bald genauer berichten.