Druckfrisch: Fundort Wien

Autorin: Lotte Dollhofer

Unsere Reihe „Fundort Wien. Berichte zur Archäologie“ ist um einen Band reicher! Auch dieser Jahresbericht spiegelt nur allzu deutlich die vielgestaltigen Aufgabenbereiche der Stadtarchäologie Wien wider – sowohl das thematische wie auch das zeitliche Spektrum betreffend. Hier die Schwerpunktthemen in aller Kürze:

Die Randzonen des heutigen Wiener Stadtgebietes waren in urgeschichtlicher Zeit aus verschiedenen Gründen sehr beliebt. Hier ist zum einen das Liesingbachtal zu nennen, speziell die fruchtbaren südseitigen Abhänge des Laaer Berges (Wien 10-Oberlaa). In endneolithischer Zeit, um 2400 v. Chr., wohnten hier Menschen der sogenannten Kosihy-Čaka/Makó-Kulturgruppe, die eine breit ausgerichtete landwirtschaftliche Lebensweise führten.

Webhütte mit einem Depot von Tongewichten und gedörrte Wildapfelhälfte in verkohltem Zustand. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Martin Penz)

Neben zahlreichen Gruben unterschiedlicher Form und Funktion haben sich hier auch kreisrunde Pfostenbauten erhalten, die in Mitteleuropa einzigartig sind. Das reichhaltige Fundmaterial setzt sich aus charakteristischer Keramik, Spinnwirteln, Tongewichten und einem Pfriem bzw. einer Ahle aus Kupfer sowie Silexobjekten zusammen.
Die Herkunft Letzterer führt uns vom Süden des Stadtgebietes an seinen westlichen Rand. Als Rohmaterial dieser Werkzeuge ist unter anderem Sedimentgestein, genauer eine Radiolarit-Varietät, aus der sogenannten St. Veiter Klippenzone belegt. Durch Begehungen der letzten Jahre im Lainzer Tiergarten und eine kleine Ausgrabung am Gemeindeberg (Wien 14) konnten bereits viele Abbau- bzw. Schlagplätze dokumentiert werden. Diese zeigen jetzt schon eindrücklich, dass das Vorhandensein des begehrten Rohstoffs Radiolarit den Raum Wien im Neolithikum zu einer überregional bedeutenden „Bergbauregion“ machte.

Schlagstein aus einer Radiolaritknolle von der Fundstelle „Saulackenmais West“ und Abbaugrube am Gemeindeberg. (Foto oben: Oliver Schmitsberger. Foto unten: Michael Brandl/OREA)

Ein „Dauerbrenner“ in der archäologischen Erforschung Wiens stellt die Zeit der Römer dar. Der Errichtung des Legionslagers Ende des 1. Jahrhunderts im Bereich der heutigen Wiener Innenstadt folgte eine mehrere Jahrhunderte währende Präsenz der römischen Kultur. Vor dem Massivausbau des Militärlagers wurde das ausgewählte Areal abgesteckt und mit einem umlaufenden Graben und einem Erdwall gesichert. Genau diese Phase wurde an der Westseite der Anlage, im Areal der heutigen Feuerwehrzentrale Am Hof, erfasst, wobei an dieser Stelle gleichzeitig mit dem Erdwall auch eine aus vier Backöfen bestehende Ofenbatterie entstand. Von Interesse sind hier vor allem auch die darunter befindlichen Lehmplanierungen und Brandschuttlagen, die zahlreiches Fundmaterial enthielten, welches in den 90er Jahren des 1. Jahrhunderts in Verwendung gestanden haben muss und das wohl von Vorgängerstrukturen aus der näheren Umgebung hierher gelangt war. Dafür kommen eigentlich nur das Kastell einer inschriftlich belegten Hilfstruppe mit angrenzendem Vicus im Bereich der heutigen Freyung und des Schottenklosters infrage.

Planausschnitt mit Ofenbatterie an der Westseite des Legionslagers. (Plan: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)
Fundauswahl aus der Ofenbatterie an der Westseite des Legionslagers. (Graphik: Stadtarchäologie Wien/Ursula Eisenmenger-Klug, Sabine Jäger-Wersonig, Gerhard Reichhalter, Gertrud Mittermüller)

Die Baumaßnahmen wurden von den Soldaten selbst durchgeführt, wie ihnen auch die Herstellung des Baumaterials, etwa der Ziegel, unterlag. Wir wissen, dass sie in den Legionsziegeleien in Wien-Hernals produziert wurden. Neben den üblichen Formaten fand sich bei der letzten Grabungskampagne im Jahr 2017 überraschenderweise auch eine Reihe von Stirnziegeln (Antefixe). Diese wurden als Abdeckungen der untersten Ziegelreihe am Dachrand von Gebäuden verwendet. Das Besondere an diesen zwar seriell mittels Model hergestellten Antefixen ist jedoch, dass sie unterschiedliche Darstellungen auf der Frontseite zeigen, die im weitesten Sinne wohl auch eine unheilabwehrende Funktion hatten. Aus Vindobona sind bislang vier Hauptmotive bekannt: Legionsadler, Löwe, Gorgoneion (Haupt der Medusa) und tragische Theatermasken.

Schematische Rekonstruktion eines Daches mit Legionsadler-Antefix und Stirnziegel mit tragischer Maske. (Graphik: Stadtarchäologie Wien/Gertrud Mittermüller. Foto: Mario Mosser)

„Vorstädte“, seien sie aus der Römerzeit oder auch dem Mittelalter, konzentrierten sich entlang der wichtigsten Ausfallstraßen und dienten als erweiterte Wohn- und Versorgungsbereiche des Zentrums. Im Mittelalter erhielten sie oft auch eine eigene Befestigung. Zu nennen ist etwa die Vorstadt vor dem Stubentor (Wien 3), die sich an der nach Ungarn führenden Landstraße entwickelte. Dort wurde auch das erste Zisterzienserinnenkloster auf dem Gebiet des heutigen Österreich gegründet (vor 1228 gestiftet), das jedoch bei der Belagerung durch die Osmanen 1529 zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde. Kloster wie Befestigung sind uns durch Bild- und Schriftquellen überliefert. Aussagen zur genauen Lage und zum Aussehen können uns jedoch nur archäologische Nachweise geben. Der 20 m breite und 3 m tiefe, um die befestigte Vorstadt verlaufende Sohlgraben konnte bereits vor ein paar Jahren nahe dem Rochusmarkt dokumentiert werden. Die Auswertung von Grabbefunden, welche schon 1995 im Zuge von Umbauarbeiten im Hof des Hauses Siegelgasse 1 zutage kamen, gibt einen weiteren einschlägigen Hinweis. Die 16 identifizierbaren Gräber dürften Teil des Friedhofs des Zisterzienserinnenklosters gewesen sein, welcher unweit der einstigen Klosterkirche situiert war. Die gestreckte Armhaltung, das weitgehende Fehlen von Beigaben sowie die Graborientierung (Ost-West) legen eine hochmittelalterliche Zeitstellung nahe, welche durch Radiokarbondatierung bestätigt werden konnte. Die Bestattungen stammen somit aus der Frühzeit des Klosters.

Ausschnitt Meldemann-Rundansicht (1529/1530) mit der Vorstadt vor dem Stubentor. (Wien Museum, Inv.-Nr. 48.068)
Freigelegtes Grab im Friedhof des Zisterzienserinnenklosters. (Foto: Archiv Stadtarchäologie Wien)

Zum Schutz der sich immer weiter ausdehnenden Vorstädte wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts der sogenannte Linienwall angelegt. Dieses allerdings nur mäßig effektive Annäherungshindernis wurde später zur Steuergrenze umgewidmet und behielt diese Funktion bis zur Schleifung Ende des 19. Jahrhunderts bei. Gerade in diesen Grenzbereichen, wo auch mit Wartezeiten zu rechnen war, kommt das Vorhandensein eines Gasthauses nur gelegen: so etwa das Gasthaus in der Nähe des Matzleinsdorfer Tores (Wien 5). Die bei Bauarbeiten im Zuge der U-Bahn-Erweiterung aufgedeckten Kellermauern und einschlägiges Fundmaterial wie Trinkgläser und ein Lampenschirm lassen das etwa 50 Jahre bestehende Gasthaus „Zum Auge Gottes“ wiederauferstehen, dessen Schließung 1903 in den damaligen Zeitungen bitter beklagt wurde.

Glasobjekte aus dem Umfeld des vormaligen Gasthauses „Zum Auge Gottes“. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Nikolaos Piperakis)

Soweit dieser kleine Streifzug durch das neue „Fundort Wien“.

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 22/2019
Kartoniert. 29,7 x 21 cm
312 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen und Plänen
Einzelpreis: 34,– Euro, Abonnementpreis: 25,60 Euro
ISBN 978-3-85161-216-5. ISSN 1561-4891
E-Book (PDF-Format) Gesamtpreis: 30,– Euro, Einzelartikel: 2,60–14,40 Euro
ISBN 978-3-85161-217-2. ISSN 1561-4891

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