Autorin: Gertrud Mittermüller
Das Legionslager Vindobona und die mit ihm eng verflochtenen canabae legionis im Zentrum Wiens zählen seit mehr als hundert Jahren zu den Hotspots archäologischen Interesses. Ebenso weit reicht die Erforschung der weiter südöstlich gelegenen römischen Zivilsiedlung im heutigen Bezirk Landstraße zurück. Beiderseits eines vom Legionslager kommenden überregionalen Verkehrsweges in Richtung Carnuntum bestand diese Siedlung, in deren Mitte – Rennweg 44 – eines der größeren archäologisch untersuchten Areale von Wien liegt.
Im Jahr 2018 wurde mit dem elften Band der Monografien der Stadtarchäologie Wien – „Ein Wohn-, Handwerks- und Verkaufsbereich in der römischen Zivilsiedlung von Vindobona. Die Ausgrabungen in Wien 3, Rennweg 44“ – eine umfassende Befundauswertung vorgelegt.
Die erste Geländenutzung/Verbauung ließ sich der Zeit ab dem ausgehenden ersten nachchristlichen Jahrhundert zuordnen. Seinen Höhepunkt hatte der Siedlungsbereich im 2. bis hinein ins 3. Jahrhundert und bereits 270 n. Chr. schienen die Bauten großflächig aufgegeben worden zu sein. Spätestens mit Anfang des 5. Jahrhunderts verflüchtigen sich die antiken Hinterlassenschaften endgültig.
Auf einem in mehrere Parzellen unterteilten und zum Teil mit Streifenhäusern bebauten Gelände waren laut Michaela Müller im Wesentlichen vier Bau- bzw. Nutzungsperioden festzustellen, innerhalb welcher Umbauten und Renovierungen erfolgten, die sich im Detail jedoch nicht zeitlich fixieren lassen.
Neben den Ergebnissen der Fundbearbeiterinnen und Fundbearbeiter zu den Fundmünzen (Münzhort mit 1268 Münzen!) sowie den Metall-, Bein- und Glasobjekten, fanden in jenem Band nur Einzelaspekte der Fundkeramik Platz. Die Präsentation der einzelnen Warenarten und die Ergebnisse ihrer Auswertung stellten wir damals in Aussicht und nun liegt sie vor!
Die Keramik
Eine Gesamtauswertung war niemals das Ziel, denn zu groß ist die Menge der Keramikfunde. Da sie meist als kleinfragmentierte Bestandteile von Gruben- und Brunnenverfüllungen geborgen wurden, zählte es zu der großen Herausforderung, hier den Überblick zu bewahren. Für viele Bruchstücke fanden sich anpassende Scherben, die zum Teil aus weit auseinander gelegenen Strukturen der 1.452 m2 großen Grabungsfläche stammten.
Abgesehen davon, dass die Keramik Informationen zu Anfangsdatum, Entwicklung und Ende dieses Siedlungsbereiches liefert, ist sie Zeugnis des Alltags der ehemals hier ansässigen Bevölkerung, sie gibt – wie die bereits publizierten Fundgattungen auch – Einblick etwa in Handwerk und Handel, Lagerhaltung, Speisenzubereitung und Tischkultur.
Als Tafelgeschirr war teure Terra Sigillata in Verwendung, deren Produkte aus den Töpfereibetrieben in Rheinzabern, Westerndorf oder Pfaffenhofen von Dénes Gabler zur Vorlage ausgewählt wurden, um die Spätzeit der Siedlung zu beleuchten.
Diesem Luxusgeschirr steht die Pannonische Glanztonware (hergestellt zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert n. Chr.) hinsichtlich dekorativer Ausführung um nichts nach. Der Benennung ist zu entnehmen, dass sie in näher gelegenen Produktionsorten gekauft wurde, aber – wie die naturwissenschaftlichen Untersuchungen von Roman Sauer zeigten – ist für einige Formen auch eine Herstellung in Vindobona denkbar.
Glanzton- wie auch Feinware aus der Zivilsiedlung werden von Izida Berger-Pavić und Eleni Eleftheriadou erstmals in dieser Menge vorgestellt, und das obwohl bei Letzterer nur etwa ein Viertel zur Publikation ausgewählt wurde. Die Feinware repräsentiert einen Großteil des in Vindobona bzw. in Pannonien zwischen dem fortgeschrittenen 1. und dem beginnenden 3. Jahrhundert in Umlauf befindlichen üblichen römischen Warespektrums, und auch hier gibt es Hinweise auf lokale Produktionen!
Gefäße der Glanztonware mit „Sieb-Einsätzen“ sind besonders hervorzuheben. Als Tafelgeschirr bzw. als repräsentative Objekte klassifiziert, entziehen sie sich zwar einer exakten Einordnung, doch mag man ihnen wohl eine Verwendung im Zuge von Kulthandlungen zuschreiben.
Aus der Grabung Rennweg 44 liegen auch insgesamt drei feinkeramische Imitationen von Glasgefäßen vor, wobei die einer Vierkantflasche in Wien Seltenheitswert besitzt. Der Herstellung von Tonnachahmungen verschiedener Formen von Glas- oder Metallgefäßen wie auch von Terra Sigillata wird ein Nahverhältnis zum Militär zugesprochen, entsprechende Produkte werden in der Fachliteratur als sog. Legionsware geführt.
Mit annähernd 100 Lampen gehört die Ausgrabung Rennweg 44 zu den fundreichsten in Wien, zudem zeigen sie eine große formtypologische Bandbreite. Da in der Publikation von Sylvia Sakl-Oberthaler nur eine kleine Auswahl präsentiert werden konnte, darf an dieser Stelle auf die digitale Gesamtvorlage der Lampen aus Vindobona verwiesen werden.
Das Alltagsleben spiegelt sich besonders in der sog. Gebrauchskeramik wider. In der Aufarbeitung wurde sie in reduzierend – nun von Ursula Eisenmenger vorgelegt – und in oxidierend gebrannte Gebrauchskeramik aufgeteilt. Letztgenannte wird von Rita Chinelli in einer gesonderten Publikation präsentiert werden. Die ursprüngliche und sekundäre Verwendung dieser Keramiken, ihre Produktionsweise wie auch die Verteilung der Formen und Waren sind Thema. Ein Ensemble kleiner Becher aus einem Keller gibt etwa Einblick in die Lager- und Vorratshaltung, Schmauchspuren zeigen, welche Gefäße beim Feuer/zum Kochen verwendet wurden. Einige Bruchstücke lassen sich Hohlformen zuweisen, die der Verarbeitung von Lebensmitteln dienten.
Reinhold Wedenig widmet sich der Keramik als Schriftträger. Keramikgraffiti lassen je nach Zeitpunkt ihrer Anbringung, vor oder nach dem Brand eines Gefäßes, unterschiedliche Rückschlüsse zu. Sind vor dem Brand (ante cocturam) angebrachte Personennamen mit der Fertigung in Verbindung zu bringen und möglicherweise auch als Töpfernamen zu deuten, gelten Ritzinschriften, die nach dem Brand entstanden sind und sich als Namen identifizieren lassen, allgemein als Besitzergraffiti.
Das Nebeneinander der Tria nomina eines Mannes und eines keltischen Frauennamens auf einem Sigillatateller ist Zeugnis gemeinschaftlichen Besitzes. Über das Verhältnis der Bezeichneten, Eheleute oder Familienmitglieder im weiteren Sinn (zum Beispiel Sklavin), kann jedoch nur spekuliert werden.
Mit dem nun publizierten zweiten Band der Auswertungen der Grabungen in Wien 3, Rennweg 44 vervollständigt sich das Bild der Bewohner dieses an der Limesstraße gelegenen Siedlungsbereiches. War dem ersten Band schon zu entnehmen, dass hier schreibkundige Menschen lebten, die regen Handel betrieben und in der handwerklichen Produktion versiert waren, bekommen sie nun auch Namen. Ihre gehobene Lebenskultur wird einmal mehr verdeutlicht durch Beleuchtungsgeräte, Tafelgeschirr und Gegenstände, die nicht allein dem alltäglichen Gebrauch zuzuordnen sind.
Keine der Fragen, die Interessierte zu den Bewohnern der Zivilsiedlung stellen können, ließe sich mit nur einem Band der Publikationsreihe beantworten, weshalb mit der Präsentation der Keramik nun BEIDE Bände auf der Website der Stadtarchäologie Wien frei abgerufen werden können!