Textilerzeugung in einer endneolithischen Siedlung

Autorin: Christine Ranseder

Selbstversorger zu sein, bedeutete in der Urgeschichte weit mehr als Nahrungsmittelproduktion und -lagerung. In den Siedlungen wurden auch viele Dinge lokal hergestellt. Dazu zählten Gegenstände aus Ton oder Holz und natürlich Textilien. Da sich organisches Material im Boden jedoch nicht gut erhält, kann auf so manche Erzeugnisse fleißiger Hände nur noch indirekt geschlossen werden. Im archäologischen Fundgut finden sich Hinweise auf die Herstellung von Geweben recht häufig in Form von tönernen Spinnwirteln und Webgewichten. 2019 kamen im Zuge der Ausgrabung einer Siedlung des Endneolithikums am Fuß des Laaer Berges im unteren Liesingbachtal in einer Grube gleich neun Webgewichten zu Tage. Grund genug, einen Blick auf das Textilhandwerk in der Zeit um 2400 v. Chr. zu werfen.

Die Grube mit den neun endneolithischen Webgewichten in Fundlage. Oberlaa, Flur Grundäcker, Wien 10. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Martin Penz)

Neun walzenförmige Webgewichte aus dem Endneolithikum

Der Ort der Auffindung der Webgewichte ist nicht weiter bemerkenswert. Die Grube mit annähernd ovalem Grundriss von ca. 2,70 bis 3 m Durchmesser wies keine Hinweise auf eine Wand- oder Dachkonstruktion mehr auf. Derartige Siedlungsobjekte werden in der Regel als Nebengebäude – Grubenhütten – mit Werkstätten- oder Lagerfunktion gedeutet.

Die Ansammlung von neun walzenförmigen Webgewichten mit längsaxialer Lochung befand sich am Grubenrand. Ihre Länge betrug zwischen 11 und 13 cm, ihr Durchmesser zwischen 6 und 7 cm. Das doch beträchtliche Gewicht bewegte sich zwischen 500 und 700 g.

Interessant ist, dass die aus lokal anstehendem Lösslehm geformten Webgewichte ungebrannt waren. Das tat der Erfüllung ihrer Funktion, die Kettfäden zu spannen, natürlich keinen Abbruch. Entscheidend ist schließlich das Gewicht, nicht die Härte der Webgewichte. Ihre Lage zueinander lässt allerdings darauf schließen, dass sie zum Zeitpunkt der Aufgabe des Siedlungsobjektes nicht an einem Webstuhl in Verwendung standen, sondern beiseitegelegt worden waren. Daraus ergibt sich eine weitere mögliche Deutung. Auffällig ist, dass an den Rändern der Lochungen weder Abrieb noch Einschnitte von Fäden zu beobachten sind. Dies spricht eher gegen den Gebrauch der ungebrannten Webgewichte. Vielmehr könnten sie zum Trocknen aufgelegt gewesen sein. Bei massiven Tonobjekten besteht nämlich die Gefahr, dass sie zerbersten, wenn sie noch ein wenig zu feucht ins Feuer gelegt werden.

Die neun ungebrannten endneolithischen Webgewichte. Oberlaa, Flur Grundäcker, Wien 10. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Martin Penz)

Nicht erhalten geblieben: Webstuhl, Gewebe und Garn

Wie aber sah vermutlich der zu den Webgewichten passende Webstuhl aus? Flächige Gewebe wurden in der mitteleuropäischen Urgeschichte in der Regel auf einem Gewichtswebstuhl hergestellt. Dieser konnte platzsparend im Haus oder in einer Hütte einfach an die Wand gelehnt werden. Die Webgewichte hatten die Aufgabe, die senkrecht verlaufenden Kettfäden zu spannen. Zu Rahmengestell und Webgewichten gesellten sich noch Trenn- und Litzenstab. Webschwerter oder Webkämme dienten zum Anschlagen.

Rekonstruktion eines Gewichtswebstuhls. Auf der Abbildung sind pyramidenstumpfförmige Webgewichte zu sehen, die erst ab der Spätbronzezeit verwendet wurden. (Zeichnung: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)
Leinwandbindung. (Zeichnung: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Kommt nur ein Litzenstab zum Einsatz, spricht man von einem einschäftigen Webstuhl.
Da jeder zweite Faden der Kette am Litzenstab befestigt wird, entsteht durch Heben und Senken ein Fach. Durch dieses wird zunächst der Schussfaden geführt und danach nach oben hin angeschlagen. Als einfachste Verbindung entsteht so die Leinwandbindung. Komplexere Bindungsarten können mithilfe des Einsatzes mehrerer Litzenstäbe erzielt werden, diese sind jedoch erst ab der Mittelbronzezeit nachgewiesen.

Im Neolithikum war der Flachs (Linum usitatissimum) die wichtigste Faserpflanze. Vom Anbau über die Gewinnung der in der Stängelrinde eingebetteten Fasern bis zum Garn bedurfte es vieler Arbeitsschritte. Schon die Herstellung des Fadens war also aufwändig und zeitintensiv.

Der bedeutendste Lieferant tierischer Fasern war das Schaf. Die Züchtung von Rassen mit langer, feiner Unterwolle und nur wenigen groben Oberhaaren stand jedoch erst am Anfang. Das noch nicht so ergiebige Wollvlies wurde zunächst von den Tieren während des jahreszeitlichen Haarwechsels einfach abgezupft und konnte sofort versponnen werden. Scheren für die Schafschur sind in Mitteleuropa erst ab der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr., also aus der Latènezeit, nachgewiesen.

Fazit

Die Herstellung von Textilien war ein langwieriger Prozess, der Fachwissen, Übung und Geschicklichkeit erforderte.
Für LeserInnen, die mehr über das Thema erfahren möchten, hier ein Literaturtipp:
Karina Grömer, Prähistorische Textilkunst in Mitteleuropa. Geschichte des Handwerkes und Kleidung vor den Römern, Veröffentlichungen der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums 4, Wien 2010.

Mehr zur Ausgrabung gibt es in unserem Fundort Wien 23 zu lesen:
Martin Penz, Zu den Funden von ungebrannten Webgewichten aus der endneolithischen Siedlung in Wien-Oberlaa. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 23, 2020, S. 130–141.