„Gut Ding will Weile haben! …“ – Die oxidierend gebrannte Gebrauchskeramik der Ausgrabungen Wien 3, Rennweg 44

Autorin: Gertrud Mittermüller

Es freut uns sehr, dass wir den nunmehr letzten Band der wissenschaftlichen Aufarbeitung einer der flächenmäßig größten Grabungen in der Zivilsiedlung von Vindobona, an der Adresse Rennweg 44 im 3. Wiener Gemeindebezirk, vorlegen dürfen.

Der erste Band war den Befunden und ausgewählten Fundgattungen gewidmet, mit der Folgepublikation wurden Terra Sigillata, Glanztonwaren, Feinwaren, reduzierend gebrannte Gebrauchskeramik und Lampen sowie Keramikgraffiti und die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Analysen an ausgewählten Keramikproben vorgelegt. Mit der wissenschaftlichen Auswertung von oxidierend gebrannter Gebrauchskeramik setzt Rita Chinelli den Schlusspunkt hinter ein Projekt, dessen Anfänge weit zurückreichen und unter Mitwirkung zahlreicher Wissenschafter:innen durchgeführt wurde.
Das Ergebnis ist hinsichtlich der nachgewiesenen vielfältigen Typen bemerkenswert. In detailreichen Ausführungen werden die teilweise gängigen Formen wie etwa Krüge/Kannen, Becher, Vorratsgefäße, Schalen, Schüsseln, Teller, Reibschüsseln, Deckel und Räucherschalen wie auch Gefäße, die generell nicht so zahlreich belegt sind, abgehandelt. Neben einer Lokalisierung der jeweiligen Produktion mittels der Bestimmung von Scherbentypen (lokal, regional oder Import) sowie der Analysen zu Datierung und Verbreitung der Formen wird auch die Verwendung der Gefäße beleuchtet.

Auswahl an Krügen: 1) Streifenverzierter, henkelloser Krug/Topf – 2) Doppelhenkelkrug mit dreiteiligen Bandhenkeln – 3) Kanne mit ausgebogenem Rand, kegelförmigem Hals und Bandhenkel. (Fotos/Grafik: Stadtarchäologie Wien)

Sog. pompejanisch-rote Platten sind zu den „Luxusgütern“ der Bewohner in der Zivilsiedlung von Vindobona zu zählen. Hier handelt es sich um italische Importe, die wiederum als Prototypen für die lokal/regional produzierten Teller bezeichnet werden können.

Auswahl an Tellern mit rotem Überzug/roter Bemalung. (Foto/Grafik: Stadtarchäologie Wien)

Bei der Beurteilung der oxidierend gebrannten Gebrauchskeramik spielt auch die Möglichkeit der Multifunktionalität ebenso wie die Zweitverwendung der Behältnisse eine Rolle. Letztere manifestierte sich durch diverse Ablagerungen an der Oberfläche oder in der teilweisen Umarbeitung der Gefäße bzw. ihrer Bruchstücke (mit sekundären Lochungen zum Beispiel in Siebe umfunktioniert, ausgeschnittene Gefäßwand als Deckel etc.). Ebenso behandelt wird die Vorbildfunktion von Gefäßen, die in anderen Materialien gearbeitet sind. So kennt man etwa aus Italien ab dem Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. Waschschüsseln aus Silber oder Bronze, wie sie in der Keramik am Rennweg vorliegen. Über Handelsrouten gelangten sie in den Norden, wo sie außerhalb des römischen Territoriums wohl Prestigeobjekte mit repräsentativer Funktion waren. Mit dieser und einigen anderen Formen in Vindobona wird ein Thema berührt, das in der Wissenschaft als „Legionsware“ geführt wird. Dies betrifft Keramikprodukte, die nördlich der Alpen hauptsächlich in Legionsstandorten lokal hergestellt wurden, sich jedoch von der ortsansässigen Produktion deutlich abheben. Die Produktpalette umfasst Feinware ebenso wie oxidierend gebrannte Gebrauchskeramik (vor allem mit rotem Überzug, marmoriert) sowie Imitationen von Glas- und Metallgefäßen, auch Modelware kann hinzugezählt werden. Die Verbreitung dieses Stils wird im Wesentlichen mit den Truppenbewegungen erklärt und um das zu beleuchten, werden den Funden vom Rennweg relevante Typen aus anderen Militärstützpunkten gegenübergestellt.

Eine Auswahl sog. Legionsware: 1) Waschschüssel mit omegaförmigen Henkeln – 2) Krug mit Dreiecksrand – 3) Henkel eines Schlangengefäßes – 4) weithalsiger Doppelhenkelkrug mit zylindrischem Hals – 5) Imitation sog. rätischer Ware – 6) Imitation eines Bechers vom Typ Holdeurn 12. (Fotos/Grafik: Stadtarchäologie Wien)

Gesichtsgefäße stechen aus der Masse der Keramik hervor, die Beschäftigung mit ihren variantenreichen Ausformungen birgt, wie sich nachlesen lässt, einige kulturhistorisch interessante Aspekte. In Gräbern bzw. Siedlungen oder aber auch im handwerklichen Umfeld kommt ihnen eine Schutzfunktion zu. Besonders deutlich wird dies, wenn, wie in unserem Fall, ein Phallus appliziert ist. Mit derartigen Gefäßen glaubte man den Inhalt vor Verderben, Tierfraß oder Diebstahl sicher verwahrt zu haben. Wurden Gesichtsgefäße als Grabbeigabe verwendet, diente dies wohl auch dazu, böse Geister abzuwehren. Oder aber sie waren, wie es jüngst formuliert wurde, als Begleitung der persönlichen Schutzgötter zu verstehen, die gleichsam mit dem Verstorbenen niedergelegt wurden und somit erloschen.

Fragment eines Gesichtsgefäßes mit appliziertem Phallus. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Ein Nebenaspekt in der Behandlung dieser Gebrauchskeramik wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf das Leben und Arbeiten in der römischen Zivilsiedlung. Vor allem auf Krügen wurden mehrfach schwarz glänzende Ablagerungen an der Oberfläche festgestellt, deren naturwissenschaftliche Untersuchungen den Nachweis von Pech/Teer erbrachten. Wie der antiken Literatur zu entnehmen ist, dienten Verpichungen von Vorratsgefäßen der besseren Haltbarkeit von Lebensmitteln, Pechauftrag am Gefäßrand konnte auch eine Versiegelung des Gefäßverschlusses und so einen sicheren Transport von Flüssigkeiten und Eingelegtem gewährleisten. Scheinbar wurde auch in Vindobona vor Ort Pech hergestellt, und zwar im „Doppeltopfverfahren“. Hier wurden zwei Gefäße – eines mit dem Destillationsmaterial (Holz, Rinde) und eines als Auffanggefäß – mit einer durchlässigen Verbindung (gelochter Gefäßboden bzw. Sieb) aufeinandergestellt. Anschließend wurde um die Gefäße Feuer entfacht. Ein Krugkörper könnte mit diesem Verfahren in Verbindung gebracht werden. Eine lokale Herstellung dieser Art wäre am Rennweg schon wegen des Bedarfs in den Öfen der Handwerksproduktion nicht überraschend.

Unterteil eines Kruges mit dunklen Spuren an der Oberfläche, die auf die Gewinnung von Pech im „Doppeltopfverfahren“ hinweisen könnten. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Mit der Auswertung der in einer Auswahl vorgelegten Befunde und Funde, gewinnen wir durch die dreibändige Publikationsreihe ein Gesamtbild zu Themen wie Haushalt, Handel und handwerklicher Produktion der Bewohner der Zivilsiedlung von Vindobona, deren Blütezeit im 2. bis hinein ins 3. Jahrhundert war.

Alle drei Bände sind auf der Website der Stadtarchäologie Wien als E-Book frei verfügbar.