Im Stadtbild: Stein um Stein

Autorin: Christine Ranseder

Gute Vorsätze für das neue Jahr und Absichtserklärungen sind selten weise. In unserem Fall ist die Gefahr der Nicht-Erfüllung jedoch gering, deshalb sei hier wagemutig eine neue Blogserie angekündigt. 2019 wollen wir Ihnen Geschichten zu den im Stadtbild konservierten, noch sichtbaren Resten längst vergangener Bauwerke servieren und an Altgrabungen auf bedeutenden Wiener Plätzen erinnern. Wie in vielen Großstädten wurde auch in Wien nach Abschluss einer archäologischen Intervention manchmal ein Fenster in die Vergangenheit offen gelassen. Dass dabei der Schein trügen kann, belegt ein Mauerrest am Theodor-Herzl-Platz im 1. Wiener Gemeindebezirk.

Ein kleines Überbleibsel der Braunbastion wurde nachträglich in der Nähe seines Fundortes wieder aufgemauert. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Das auf der sogenannten Gartenbaupromenade dekorativ vor Bäumchen platzierte Mauerwerk aus Sandsteinquadern stand einst als Teil der mächtigen neuzeitlichen Befestigungsanlage Wiens an anderer Stelle. Die stattlichen Mauern der Basteien, Kurtinen und Ravelins sind über der Erde längst verschwunden, denn der Abbruch der Fortifikation zwischen 1858 und 1875 war gründlich. Im Wiener Untergrund blieb jedoch manches erhalten – unter anderem Reste der Braunbastion, zu der unser Mauerfragment ursprünglich gehörte. Diese kamen im März 1983 im Zuge der Errichtung des Hotel Marriott wieder ans Tageslicht.

Die neuzeitliche Befestigung der Stadt Wien. (Grafik: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Ein anderer Abschnitt der Braunbastion wurde bereits im Juli 1959 beim Abbruch des Hauses Parkring 12, dem Gartenbaugebäude, freigelegt. Heute erinnern nur noch die Namen der wenig zum Flanieren einladenden Fußgängerzone und des Gartenbaukinos an dieses attraktive Gebäude. Doch genug der Trauer um ein Bauwerk der Gründerzeit und zurück zur ehrwürdigen Stadtbefestigung. Wie sehr diese die Ansicht Wiens dominierte, dokumentiert ein Rundpanorama, das den Zustand von 1858 festhält. Nahe der Braunbastion gelangten die Wiener durch das Karolinentor auf das Glacis, dessen Grünfläche für die Bevölkerung unter anderem als Erholungsraum diente. Am Wasserglacis wurde ab 1788 in einem Kaffeezelt das beliebte Heißgetränk ausgeschenkt, ab 1820 gab es ein Kaffeehaus und eine Mineralwassertrinkanstalt.

Die Braunbastion und das über eine den Stadtgraben überspannende Brücke zu erreichende Karolinentor. Detail aus: Carl W. Zajicek, Rundpanorama von Wien mit Glacis und Basteien vor der Stadterweiterung. (© Wien Museum, Inv.-Nr. 95.171)
Die Promenade vor dem Karolinentor erlaubte über die Braunbastion hinweg einen Blick auf das Palais Coburg. Johann Reim, Das Karolinentor, 1850. (© Wien Museum, Inv.-Nr. 49.924)

Auf dem Zugang zur Braunbastion ließ Ferdinand Georg August von Sachsen-Coburg-Saalfeld-Koháry in den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts das Palais Coburg im spätklassizistischen Stil errichten. Die Gartenfassade erhielt 1864 ihre heutige Gestalt. Der Garten selbst liegt auf der Kasemattendecke der ehemaligen Braunbastion. Die Kasematten sind heute Teil des als Hotel genutzten Palais. Im Zuge der Umbauarbeiten konnten dank einer archäologischen Ausgrabung sowohl Reste der mittelalterlichen Stadtmauer als auch der neuzeitlichen Befestigung dokumentiert werden.

Neugierig geworden? Mehr über die Stadtbefestigung und die Brücke zum Karolinentor, deren Pfeilerreste die Stadtarchäologie ausgraben konnte, erfahren Sie in unserem handlichen Buch:

Heike Krause /Gerhard Reichhalter/ Ingeborg Gaisbauer/ Ingrid Mader/Sylvia Sakl-Oberthaler/Christine Ranseder,
Mauern um Wien. Die Stadtbefestigung von 1529 bis 1857
Wien Archäologisch 6
2., überarbeitete und erweiterte Auflage (Wien 2014)
164 S., zahlr. Farbabb. im Text, 22 x 14 cm, broschiert
ISBN 978-3-85161-074-1
EUR 21,90