Der Nachttopf: Eine kleine Lösung für ein großes Problem

Autorin: Christine Ranseder

Luxuriöse Annehmlichkeiten auf der Toilette sind ein relativ junges Phänomen. Die Erfindung des Wasserklosetts ist den Engländern zu verdanken, doch konnte dieses hierzulande erst im 19. Jahrhundert langsam Fuß fassen. Bis dahin folgte das stille Örtchen – sowohl in Gaststätten als auch in Privathaushalten – dem Prinzip des Plumpsklos. Egal, ob es sich um Aborterker, Häuschen im Hinterhof oder Gangklo handelte.
Der Weg zum gemeinschaftlich genutzten Donnerbalken war oft weit und kalt. Was also tat der findige Mensch? Richtig, auf der Suche nach ein wenig Komfort und Privatsphäre griff man zum Gefäß. Da das Töpfchen aber regelmäßig auch wieder entleert werden musste, landete es gelegentlich mitsamt Inhalt in der unter dem Plumpsklo liegenden Latrinengrube – aus der es ArchäologInnen wieder ans Tageslicht befördern.
Außergewöhnlich viele Nachttöpfe konnten aus einem Latrinenschacht in der Kundmanngasse 21–27 geborgen werden. Sie sind recht vollständig erhalten. Das ist spannend, weil sich dadurch unterschiedliche Gefäßformen belegen lassen. Damit bereichern diese Funde unser Wissen über das Aussehen dieses nützlichen Gefäßtyps, dem wir in Wien bisher vor allem als kleines Bruchstück begegneten.

Das Fundmaterial aus dem Latrinenschacht datiert in das 18. Jahrhundert. Mit den hochwertigen, reich verzierten Nachttöpfen dieser Zeit können die schlichten Exemplare aus der Kundmanngasse jedoch nicht konkurrieren. Außerdem sehen sie recht mitgenommen aus. Urinstein haftet an ihnen und die Glasuren sind zum Teil braun verfärbt.

Der Klassiker

Töpfe mit waagrecht ausladendem Rand und Verstärkungsdreiecken waren vom späten 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts das beliebteste Modell unter den Nachttöpfen. Die meist gekerbten Stützwinkel verliehen dem Rand Festigkeit – falls man sich doch auf ihn setzen wollte – und dienten gleichzeitig als Verzierung. In der Regel sind diese Nachttöpfe nur an der Innenseite glasiert – die Exemplare aus der Kundmanngasse zeigen grüne und gelbe Glasur.

Nachttopf mit breitem, waagrecht ausladendem Rand und Stützwinkeln. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Ein wenig rätselhaft erscheint die Ausbuchtung an dem zweiten „Klassiker“ aus der Kundmanngasse. Stärker ausgeprägt ist dieses Merkmal an einem Nachttopfbruchstück aus der Sensengasse 1–3. Leider ist es ungewiss, ob die Formgebung darauf abzielte, einem bestimmten Geschlecht die Benutzung des Gefäßes zu erleichtern. Da die Ausbuchtung die Öffnung des Topfes vergrößert und sie ein wenig zum Oval streckt, drängt sich der Vergleich mit einem Bourdalou auf. Das einer Saucenschüssel gleichende Gefäß ist nach dem Geistlichen Louis Bourdaloue (1632–1704) benannt, dessen Predigten so lang und spannend gewesen sein sollen, dass Damen Sauciéren in die Kirche mitnahmen, um sich zu erleichtern. Ob die Geschichte stimmt, sei dahingestellt. Aber es war für Frauen sicher leichter und diskreter, in ein der weiblichen Anatomie angepasstes Gefäß zu urinieren – auch ohne die voluminösen Röcke so stark zu raffen, wie von Francois Boucher in „La Toilette intime“ dargestellt.

Nachttopf mit Stützwinkeln und Ansatz einer Ausbuchtung. Wie diese ausgesehen haben könnte, zeigt ein Vergleichsstück aus der Sensengasse 1–3, Wien 9. (Stadtarchäologie Wien/ Foto: Christine Ranseder; Zeichnung: Constance Litschauer)
Fragment eines sehr langgestreckten Bourdalous aus dem 19. Jahrhundert, gefunden in der Sensengasse 1–3, Wien 9. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Töpfe ohne Stützwinkel

Der allzeit griffbereite Nachttopf kam im 18. Jahrhundert auch ohne Stützwinkel aus, wie Exemplare aus der Kundmanngasse belegen. In ihrer Form gleichen sie den „Klassikern“, sie sind jedoch wesentlich robuster gearbeitet und sowohl innen als auch außen glasiert – also sozusagen doppelt dicht. Bei allen Bruchstücken dieser Nachttopfvariante ist der Rand abgebrochen. Ein einzeln gefundenes Bruchstück eines profilierten Kragenrandes dürfte allerdings zu diesem Nachttopftyp gehören.

Fragmente von zwei dickwandigen, auf beiden Seiten glasierten Nachttöpfen; unterschiedlicher Maßstab. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Wesentlich dünnwandiger und auch etwas bauchiger geformt sind Töpfe mit gefleckter Glasur. Rillen am Bauch und ein rundes Zierelement, das vielleicht als Daumenrast Halt beim Ausleeren des Topfes bot, geben sie als Nachttöpfe zu erkennen. Angesichts ihrer geringen Wandstärke ist es unwahrscheinlich, dass man sich auf ihren profilierten Kragenrand setzte. Das schließt ihre Verwendung als Nachttopf jedoch nicht aus. Sie könnten auch unter einem mobilen Leibstuhl mit Loch in der Sitzfläche gestanden haben.

Dünnwandiger Nachttopf mit gefleckter Glasur. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Gänzlich in einem Möbelstück verstecken ließen sich die Nachttöpfe aus der Kundmanngasse nicht. Die in Zimmerretieraden eingepassten Gefäße haben eine andere Form und bestehen zumeist aus edlerem Material. Noble Exemplare dieser gut getarnten tragbaren Klos befinden sich im Bestand des Hofmobiliendepots. In diese schwindelnden Höhen der Tarnung eines notwendigen Gegenstandes werden sich die Besitzer der Nachttöpfe aus der Latrine in der Kundmanngasse nicht begeben haben.